Carsten Unger hat sich 2019 als Hobbyläufer der Herausforderung Nordenskiöldsloppet gestellt. Wie es zu seiner Teilnahme kam, wie seine Vorbereitung und seine Renntaktik für die 220 Kilometer aussahen, das erzählt er im Interview mit xc-ski.de.
Carsten, wie kommt man auf die Idee, bei einem 220 Kilometer langen Skilanglaufrennen mitzumachen?
Eigentlich sind Hans Mäenpää und Christoffer Lindvall vom Ski Team Mäenpää schuld. Die beiden haben mir bei einem gemeinsamen Mittagessen im Rahmen des Kaiser Maximilian Laufs von diesem Rennen vorgeschwärmt. Da ist die Idee entstanden teilzunehmen. Und da ich eine neue Herausforderung gesucht habe, war das genau das Richtige für mich.
Hast du eine besondere Veranlagung/ einen Hang zu extremen Ausdauerbelastungen, sprich von welcher Ausgangslage bist du in das Projekt Nordenskiöldsloppet gestartet?
Ich nehme seit einigen Jahren im Winter regelmäßig an Langdistanz Langlaufrennen teil. Hier unter anderem Birkebeiner, Marcialonga, Bieg Piastow oder König Ludwig Lauf. Im Sommer konzentriere ich mich seit zwei Jahren auf Mitteldistanz-Triathlons. Man kann also sagen, dass ich bereits eine recht gute Basis mitgebracht habe für eine solche Belastung. Da ich jedoch erst 2013 mit dem Langlauf begonnen habe, habe ich noch technische Defizite.
Wie sah deine Vorbereitung aus?
Mir war klar, dass ich die Vorbereitung sehr gut planen muss – so habe ich mir einen Partner gesucht, der mir einen qualifizierten Trainingsplan erstellen kann und mit Thomas Steurer auch gefunden. Die Vorbereitung für das Rennen am 30. 3. 2019 hat für mich am 30. 4. 2018 begonnen. Neben den ca. 45 Wochenstunden im Job habe ich versucht wöchentlich ca. 10 Stunden intensives Training zu absolvieren. Zu Beginn lag der Fokus auf Grundlagenausdauer und spezifischem Krafttraining. Wegen der geplanten Triathlons stand hier viel Laufen, Rad fahren und Schwimmen auf dem Programm. Im Laufe des Jahres wurde das Training dann mit langen Rollskieinheiten immer langlaufspezifischer.
Ich hatte zum Glück die Möglichkeit eine berufliche Auszeit nehmen zu können, sodass ich ab dem 1. 12. meinen Lebensmittelpunkt nach Schweden verlegen und mich ganz auf das Langlaufen konzentrieren konnte. Ich bin nach Östersund gezogen, wo ich perfekte Bedingungen vorgefunden habe. So konnte ich dann täglich auf Ski trainieren und habe mein Training auf etwa 15 bis 20 Stunden in der Woche erhöht. Das klingt nach nicht so viel, aber in meinem Alter von fast 50 kommt der Regeneration eine hohe Bedeutung zu und ich wollte vermeiden ins Übertraining zu geraten. Neben den langen Grundlageneinheiten und den Intervalltrainings lag der Fokus auch immer wieder auf der Verbesserung meiner Technik. Da das Profil des Nordenskiöldsloppes recht flach ist, habe ich sehr viel Doppelstock trainiert, um mich darauf vorzubereiten. Neben dem Training standen auch fünf Rennen auf dem Vorbereitungsplan. Vier Rennen in und um Östersund und als letzte Belastungsprobe der Vasalauf. Für diesen hatte ich mich für Startgruppe 4 qualifiziert und habe ihn per Doppelstock absolviert. Vom Vasalauf ging es dann für mich direkt nach Jokkmokk, wo ich die letzten 3 Wochen vor dem Rennen gewohnt habe, und trainieren wollte. Leider sind die ganz langen Einheiten, um mich auf die extreme Belastung vorzubereiten, einer 1-wöchigen Krankheit zum Opfer gefallen. Dennoch konnte ich einige Kilometer auf den Originalloipen des Rennens sammeln.
In Summe habe ich vor dem Rennen knapp 2.000 Kilometer auf Rollski oder Ski gestanden. Neben dem „körperlichen“ Training habe ich auch viel Mentaltraining gemacht, da mir klar war, dass am Ende eher der Kopf als der Körper darüber entscheidet, ob ich ins Ziel komme oder nicht.
Wie war deine Stimmung in den Tagen und kurz vor dem Start?
Die Tage vor dem Start waren geprägt von großer Aufregung. Nicht nur weil mir die 220 Kilometer jeden Tag gefühlt länger und unmöglicher vorkamen, sondern auch, weil das Wetter extrem schlecht war. Es war sehr windig, warm und es hat sehr viel geregnet. Ich habe mir vor meinem inneren Auge schon ausgemalt, dass das Rennen abgesagt wird und die gesamte Vorbereitung umsonst gewesen ist. Gleichzeitig war diese riesige Vorfreude darüber da, dass es losgeht und dieses für mich riesige Abenteuer endlich beginnt. Vor lauter Aufregung habe ich meine Kleiderbeutel, die man an verschiedenen Stellen der Strecke hinterlegen konnte, bestimmt sieben oder acht mal neu gepackt, nur um etwas tun zu können.
Hast du dir eine spezielle Renneinteilung/Renntaktik zurecht gelegt?
Ich habe mir zwei Dinge fest vorgenommen:
1) nicht zu schnell anzufangen und
2) jede Verpflegungsstelle zu nutzen, um genug zu essen und zu trinken.
Ansonsten wollte ich das Rennen einfach so lang wie möglich genießen – und die tolle Landschaft und herzliche Atmosphäre in mir aufnehmen.
Auf dem Hinweg hattet ihr viel Gegenwind. Hast du irgendwann gedacht: Wie soll ich da nur bis ins Ziel kommen?
Ich hatte das große Glück, dass ich immer wieder mal eine Gruppe gefunden habe, in der wir uns in der Führungsarbeit abgewechselt haben, das hat es leichter gemacht. Die letzten Kilometer vor dem Wendepunkt musste ich allerdings allein über einen See fahren und gegen den Wind ankämpfen. Da habe ich mich schon gefragt, wie das gehen soll. Aber da wusste ich ja, dass es nur noch knapp 10 Kilometer sind, bis ich mich auf den Rückweg mache und dann den Wind im Rücken habe.
Ab wann warst du dir sicher, dass du es bis ins Ziel schaffst?
Ich habe eigentlich nie daran gezweifelt, dass ich es bis ins Ziel schaffe.
Wie kaputt ist man nach 220 Kilometern, wann bist du wieder auf Ski gestanden?
Im Ziel war ich völlig leer – körperlich und geistig. Ich war froh, dass mir jemand geholfen hat, die Ski auszuziehen, weil ich es selbst wahrscheinlich nicht geschafft hätte. Die Beine haben gezittert und sämtliche Körperspannung war weg. Die Freude und Lust aufs Skifahren kam aber dann relativ schnell zurück und ich bin eine Woche später nochmal gefahren, da mir klar war, dass die Saison dann für mich zu ende sein würde.
Wenn du so zurückblickst, was war dein schönstes Erlebnis während der 220 Kilometer und was dein unschönstes?
Das Schönste ist eindeutig die unglaubliche Herzlichkeit der Helfer, die den Fahrern jeden Wunsch von den Lippen ablesen und das Rennen sehr besonders macht. Aber auch in die Polarnacht hineinzufahren und den wundervollen Sonnenuntergang erleben zu dürfen ist toll. Als ich irgendwann die Batterie meiner Stirnlampe gewechselt habe und in völliger Dunkelheit stand und über einem ein Sternenhimmel zu sehen ist, wie man ihn nur sehr selten sehen kann ist man überwältigt. Daneben gibt es eine tolle Gemeinschaft zwischen den Fahrern, man wechselt sich in der Führungsarbeit ab und wartet an der Verpflegungsstelle aufeinander – einfach toll.
Das schlimmste Erlebnis für mich war, als ich ein Schild falsch gelesen habe und mir sicher war, dass ich nur noch 60 Kilometer fahren muss, nur um kurz danach auf dem nächsten Schild zu erkennen, dass es noch 80 Kilometer waren – das war ein mentaler Tiefschlag. Und ohne das intensive Mentaltraining im Vorfeld hätte mich das vielleicht zum Aufgeben verleitet. Insgesamt überwiegen die positiven Erlebnisse aber im Verhältnis 100:1
Wann stand für dich fest: Da muss ich nochmal dabei sein!
Ein paar Tage nach dem Rennen, als ich alles emotional verarbeitet hatte, war für mich klar, dass ich dieses wundervolle Erlebnis nochmal haben möchte. Und so habe ich am 30. 4. wieder begonnen mich vorzubereiten…
Danke Carsten für diese Einblicke in den Nordenskiöldsloppet!
Wer selbst einmal diese größte Herausforderung im Skilanglauf meistern will, findet hier alle Infos zum Rennen: www.nordenskioldsloppet.se
Danke für den Bericht. Ich habe 2017 an diesem Lauf teilgenommen und würde gerne meine Erfahrungen an Interessierte weitergeben.
Hallo Gerald,
in kurzer Form kannst du dies gerne hier als Kommentar unter diesem Artikel tun. Wenn du etwas ausführlicher berichten willst, steht dafür unser Forum in der Community bereit. Im Skimarathon-Forum wäre dafür sicher der geeignete Platz.
Schöne Grüße
Mario