Ausdauersportler haben schon bestimmte Züge eines Masochisten. Sie quälen sich Anstiege hinauf, bringen Muskeln in Sauerstoffschuld und versuchen, trotz Schmerzen noch etwas mehr Leistung aus sich heraus zu kitzeln. Meist geschieht dies im Wettkampf, wie man am vergangenen Wochenende beim Tag des Sports in Neureichenau wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt bekam.
Mein Start in Neureichenau war schon lange überfällig. Seit inzwischen drei Jahren lag mir Ernstl Süß, der Organisator des „Tag des Sports“ in den Ohren und wollte mich unbedingt dabeihaben. Dieses Jahr passte das Event zum ersten Mal in meinen Terminkalender und so machte ich mich am vergangenen Wochenende auf ins Dreiländereck Deutschland-Österreich-Tschechien. Nun ist Neureichenau nicht unbedingt der Nabel der Welt, aber wenn es um Sport geht, ist dort immer der ganze Ort auf den Beinen. Aus der ganzen Region kommen Athleten, Hobby- und Genusssportler, um am Tag des Sports den Dreisesselberg zu erklimmen. Ob mit dem Bike, zu Fuß, als Nordic Walker oder Wanderer: Jede erdenkliche Form der Fortbewegung war möglich. Für die Athleten wurde die Zeit gestoppt, für alle anderen zählte einzig das Ankommen. Mich hatte Ernstl trotz aller Vorwarnungen meinerseits in das von ihm unterstützte Laufteam gesteckt. Dazu muss man sagen, dass Laufen noch nie meine Stärke war und solche Wettkämpfe bislang immer in eine große Quälerei ausgeartet waren. Außerdem fand ich mich in der Aufstellung für das Rennrad-Sprintrennen am Abend mitten im Ort wieder, bei dem müde Beine auch nicht unbedingt von Vorteil sind. Als Beruhigung gab mir der Teamchef mit auf den Weg, dass jeder, der am Abend sprinten wolle, zunächst ein ähnliches Programm wie ich zu absolvieren habe. Frisch käme also niemand zu diesem Spektakel.
Teammitglieder und Betreuer trafen sich bereits beim Frühstück in Ernstls Haus und tankten noch einmal Kohlenhydrate. Da ich die Strecke nicht kannte, brachte mich Markus, ein guter Freund des Chefs, mit dem Roller zur Schlüsselstelle, wo wir einige wenige Kilometer unter die Sohlen nahmen. Eines wurde schnell klar: Das würde kein Spaziergang werden. Aber damit hatte ich sowieso nicht gerechnet. Dann näherte sich bereits der Zeitpunkt des Starts und ich machte mich mit meinen Teamkollegen warm. Die Startaufstellung erfolgte mitten im Ort und den Bikern waren die ersten Reihen vorbehalten. Dahinter folgten wir Läufer und den Abschluss bildeten die Nordic Walker und Wanderer. Schließich wurden die letzten Sekunden heruntergezählt.
3, 2, 1 und der Startschuss fällt. Ich reihe mich ungefähr an Position 20 ein und versuche langsam meinen Rhythmus zu finden. Nach ein paar Metern Steigung folgt erst mal Gefälle und ein längeres Flachstück. Schnell verliere ich Platz um Platz. Ich bin einfach kein Crossläufer. Ich versuche nur nicht zu schnell anzugehen, schließlich glaube ich ja zu wissen, was noch auf mich zukommt. Als es nach drei Kilometern in den ersten Anstieg geht, habe ich meinen Platz im langgezogenen Starterfeld gefunden. „Nur nicht langsamer werden und zu viel Zeit verlieren“, schießt es mir immer wieder durch den Kopf. Ich versuche, mich an andere Läufer dranzuhängen, aber so richtig klappt das nicht. Langsam wird mir bewusst, dass man eben doch einige Kilometer in den Beinen braucht, um einen Wettkampf einigermaßen heil zu überstehen. Bei mir macht sich jedenfalls langsam das Laktat in den Muskeln breit. Am Anfang der Schlüsselstelle kann ich endlich meinen ersten Konkurrenten überholen. Das Steilstück lässt sich zumindest mit meinem Trainingszustand nicht laufen und ich absolviere es lieber im Skigang. Schon seit einiger Zeit habe ich einen unerfahrenen jungen Läufer vor, neben und hinter mir, der einen etwas unorthodoxen Laufstil pflegt. Er sprintet 200 bis 300 Meter, um dann völlig außer Puste stehenzubleiben oder langsam zu gehen. Ich will ihm schon fast zurufen: „Lauf doch mal langsamer, aber konstant!“ Doch dazu fehlt mir wiederum die Puste. Ausgangs der Schlüsselstelle verliert er dann den Anschluss und ich habe ihn nicht wieder gesehen. Dafür taucht vor mir ein Läufer auf, der mich im Flachstück noch überholt hat und der ungefähr mein Tempo zu laufen scheint. Jedenfalls sauge ich mich langsam an ihn heran. Die Strecke steigt nun schleimig und führt auf einer Teerstraße in Richtung Gipfel. Am Rand stehen die ersten Zuschauer und feuern uns an. Das setzt Kräfte frei und mit einer kleinen Tempoverschärfung schließe ich dann auch die Lücke. Mein Konkurrent ist wohl etwas überrascht, jedenfalls lässt er mich in meinem Adrenalinrausch zunächst ziehen. Aber die Steigung scheint kein Ende zu nehmen und wenig später sind wir wieder zusammen. Das 2000 Meter Schild verpasst mir dann erst mal einen gehörigen Dämpfer in der Motivation und ich muss ihn ziehen lassen. Ich quäle mich weiter und wie aus dem Nichts taucht erneut ein Adrenalinschub auf, als ich die Teerstraße verlasse und auf einen Schotterweg einbiege. Lag es an den Zuschauern oder war der Anstieg hier etwas flacher? Jedenfalls kann ich erneut die Lücke schließen. Dieses Mal klemme ich mich allerdings in den nicht vorhandenen Windschatten und versuche einfach dran zu bleiben. Als das 500 Meter Schild in Sichtweite kommt, scheint nichts mehr zu gehen. Jede kleine Tempoverschärfung meines Konkurrenten hätte mein Ende bedeutet. Aber es kommt keine und das 300 Meter Schild entfesselt schließlich meinen Endspurt. Obwohl ich 200 Meter zuvor fast stehengeblieben wäre, „sprinte“ ich nun bis zum Ziel, wo mich meine Teamkollegen erwarten. Ich bin völlig am Ende und benötige mehrere Minuten, um wieder zu Atem zu kommen. Knapp über eine Stunde habe ich für die 9,5 Kilometer und 750 Höhenmeter gebraucht. Christoph aus unserem Team war als Sieger über 16 Minuten schneller.
Kurz darauf waren wir dann mit dem Auto schon wieder auf dem Weg zurück nach Neureichenau. Es blieb nicht viel Zeit zur Erholung, nur vier Stunden später sollte bereits das Sprintrennen starten. Nach einer Dusche und Verpflegung war Ausruhen angesagt. Dann streifte ich das Radtrikot über und verwandelte mich innerhalb weniger Sekunden vom müden Faulenzer zurück zum Wettkämpfer. Es ist schon erstaunlich, wie schnell so etwas manchmal geht.
Die ersten Kurbelumdrehungen fühlen sich deutlich unrund an. Ich muss mich richtig dazu zwingen, nicht kraftlos in die Pedale zu haken. Aber bereits nach ein paar Kilometern wird das Gefühl besser. Die Wettkampfstrecke fahre ich genau einmal ab. Sie ist zwar nur 500 Meter lang, hat aber eine durchschnittliche Steigung von neun Prozent. Das ist die Art Strecke, auf der man sich so richtig “Auskotzen“ kann. Zusammen mit den anderen sieben Jungs und drei Mädels stelle ich mich kurz zum Mannschaftsfoto auf und fahre bei der Teampräsentation die Strecke von oben nach unten. Die Straßenränder sind gesäumt von Zuschauern. Also wen das nicht motiviert, der hat die falsche Sportart gewählt. Ich bin an Position acht gesetzt und muss so gegen die „Achter“ der vier anderen Teams antreten. Vor uns werden jedoch erst die übrigen „Heats“ auf die Strecke geschickt. Mit großem Blatt vorne quälen sie sich durch das Menschenspalier. Dann sind wir an der Reihe. So richtig langsam schaut keiner meiner Konkurrenten aus. Ich nehme mir vor, mich an Position zwei einzureihen und erst auf den letzten Metern anzutreten. Mein Vorhaben gelingt direkt nach dem Start und wir gehen in das steilste Stück der Strecke. Als wir die Zielgerade erreichen, überholt mich der bis dahin an Position drei gelegene Fahrer. Ein kurzer Blick zeigt mir, dass der wohl das bessere Tempo fährt und ich versuche in seinen Windschatten zu springen. So komme ich auf eine Höhe mit dem Konkurrenten, der zu Beginn in Führung gelegen hat. Noch sind es 100 Meter bis zur Ziellinie und die Strecke wird wieder etwas steiler. Ich kämpfe um Position zwei. 50 Meter vor dem Ziel explodieren meine Oberschenkel und ich muss abreißen lassen. Ich rette mich als Dritter ins Ziel und kann mich nur mit Mühe auf dem Rad halten. In der Abfahrt zurück zum Start fühlen sich meine Beine an wie Betonklötze. Noch einmal muss ich durch die Hölle dieses Anstiegs und mir bleiben lediglich 20 Minuten, um mich zu erholen. Wieder am Start schaffe ich es nur mit Mühe ohne Krampf in die Klickpedale. Dann scheint es aber auf den ersten Metern rund zu laufen und ich absolviere die steilste Stelle im Paket mit meinen Konkurrenten. Doch als der Antritt auf dem Weg zur Zielgeraden erfolgt, kann ich nicht mehr gegenhalten und bin geschlagen. Mit dem letzten Gang erreiche ich abgehängt das Ziel. Naja, zumindest im ersten Lauf habe ich ein paar Punkte geholt.
Wenige Minuten später stand fest, dass wir trotzdem die Mannschaftswertung gewonnen haben. Das ist einzig und allein der super Leistung meiner Teamkollegen zu verdanken. Ich selbst brauchte trotzdem eine gewisse Zeit, bis mir meine Oberschenkel wieder gehorchten. Wieder einmal hatte ich mich geschunden und gequält. Manche mögen das nicht verstehen, aber ich werde sicher demnächst wieder am Start stehen und mich ein bisschen wie ein Masochist fühlen.
Alle Infos zum Rennen findet ihr hier: www.schneeeck.de