Der Vasalauf im Sommer: 92 Kilometer auf dem Fläming Skate

Gruppe © Andrea Felgenhauer

Mühsam kämpfe ich mich voran. Die Markierungen am Streckenrand scheinen sich immer weiter voneinander zu entfernen: Noch 18,6 Kilometer, noch 18,2, noch 17,8. Ich hatte mir den DMS-Skirollerlauf auf dem Fläming Skate schon als echte Herausforderung vorgestellt, aber dass es auf den letzten Kilometern so hart wird, hätte ich nicht gedacht.

Der Ort, der nun schon zum siebten Mal gestandene Lang- und Rollskiläufer an ihre konditionellen Grenzen brachte, liegt eine knappe Autostunde südlich von Berlin im Landkreis Teltow-Fläming. Hier hat man in einem Geniestreich vor einigen Jahren gut ausgebaute Radwege zu mehreren Rundstrecken verbunden, von denen die Längste 92 Kilometer misst. Aus ganz Deutschland und den Nachbarstaaten, wie Tschechien und Polen kommen seitdem Inlineskater, Radfahrer und auch Rollskiläufer zum Fläming Skate, um dort Kilometer abzuspulen oder einfach nur eine Mehrtagestour zu absolvieren. In Jüterbog wurde sogar ein eigenes Inlineskater-Stadion errichtet, in dem schon Titelkämpfe auf den schnellen Rollen stattfanden. Hier war auch der Start zum DMS-Skirollerlauf 2010.

Urlaub kann so schön sein. Nach zwei Tagen Aufenthalt in Berlin und Potsdam mit Stadtbummel und Theaterbesuch nehme ich die durch Zufall entstandene Chance auf einen Start beim Fläming-Skate wahr und mache mit meiner Frau vor der Heimreise noch einen Abstecher in dieses Skirollerparadies. Wir kommen am Freitag an und ich nehme noch die ersten und letzten Kilometer der Runde in Augenschein. Lars Schlegel von DMS hat mir nicht zuviel versprochen. Gut geteerte und ausreichend breite Radwege machen diese Auftakteinheit zum Wettkampf am nächsten Tag zu einem echten Erlebnis. Trotzdem schlafe ich schlecht in der Nacht vor dem Wettkampf. 92 Kilometer am Stück bin ich in meinem bisherigen Langläuferleben noch nie gelaufen. Zudem hat Lars bei der Besprechung am Abend noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch „gestandene“ Marathonläufer ab Kilometer 70 ihre Probleme bekommen können. Die Strecke ist zwar nicht komplett flach, aber längere Abfahrten zur Erholung sucht man vergeblich. Dementsprechend vorsichtig nehme ich mir vor, das Rennen anzugehen.

Mit am Start zur 92 Kilometer Distanz stehen die drei DSV-Athleten Tom Reichelt, Valentin Mättig und Andy Kühne. Sie sind zusammen mit ihren beiden Trainern Janko Neuber und René Sommerfeldt angereist, um einen neuen Trainingsreiz zu setzen. Als Anreiz diente mit Sicherheit auch die aktuelle Rekordzeit von 3:39 Stunden, die Andreas Schlütter im Jahr 2006 kurz nach seinem offiziellen Karriere-Ende aufgestellt hatte. Janko und René nehmen die kurze Runde über 43 Kilometern zusammen mit den DSV-Damen Denise Herrmann und Monique Siegel in Angriff.

Punkt 9 Uhr geht es los. Circa 20 „Verrückte“ haben sich eingefunden, um die 92 Kilometer in Angriff zu nehmen. Lars schickt uns mit einem lautstarken „Los“ auf die Strecke. Startschuss braucht es keinen, jeder weiß, dass die Herausforderung nun beginnt. Ich reihe mich auf der zu absolvierenden Startrunde in der Skate-Arena hinter den DSV-Läufern und Steffen, einem alten Bekannten, ein. Doch bereits als die Strecke nach circa zwei Kilometern den ersten Knick macht, lasse ich die Spitzengruppe ziehen. Jedes km/h zu schnell, kann sich schließlich am Ende bitter rächen. Nach der ersten Straßenquerung springen noch weitere Athleten an mir vorbei, ich halte aber konstant mein Tempo. Dazu habe ich mir extra eine GPS-Uhr ausgeliehen, um jederzeit über die gelaufenen Kilometer und die Durchschnittsgeschwindigkeit informiert zu sein. Im welligen Gelände geht es die ersten Kilometer an Jüterbog vorbei und teils kurvigen, aber einfach zu laufenden Streckenabschnitten in Richtung der ersten Verpflegungsstation. Kurz davor werde ich von hinten von einer Gruppe eingeholt. Gerade im richtigen Augenblick, wie sich kurz darauf herausstellt. Ich biege falsch auf einen Radweg ab, der vom Rundkurs wegführt. Für einen kleinen Moment hatte ich nicht auf die Markierung geachtet. Doch der Ruf aus der Gruppe hinter mir führt mich schnell wieder auf den richtigen Weg. Dann wird mir aber auch das Tempo dieser vier Läufer zu hoch und ich erreiche die Verpflegung knapp hinter meinen Mitstreitern. Dort wartet meine Frau Andrea auf mich und nach einem Tausch meiner Trinkflasche, sowie einem schnell in den Mund gequetschten Energiegel verlasse ich diesen Punkt wieder vor der Gruppe. Warten hätte keinen Sinn gemacht, da mich die Konkurrenten bereits wenig später wieder überholen.


Von nun an bin ich alleine unterwegs und es folgt ein Abschnitt, auf dem ziemlich wenige Richtungsänderungen zu bewältigen waren. Auch Ortsdurchfahrten, die bislang für Abwechslung sorgten, bleiben aus. Dafür steigt die Strecke nun merklich an und ich mache im 1-1er Kilometer um Kilometer. Schließlich erreiche ich Hohenseefeld, den Ort am südöstlichsten Punkt der Strecke. Dort verpflege ich mich nach 42 Kilometern ein weiteres Mal und bin dankbar für die vollgefüllte Wasserflasche, die mir meine Frau reicht. Es folgt der Abschnitt mit der größten Steigung des ganzen Rundkurses. Dabei werden zwar gerade einmal 100 Höhenmeter überwunden, nach den vielen Kilometern im Pendelschritt und der 1-1 Technik tut aber die 2-1 Technik zur Abwechslung gut. An der dritten Verpflegungsstelle in Petkus werde ich schließlich gefragt, ob ich eine Dusche wolle. Ich bin zunächst etwas verwirrt, stimme aber bei knapp 30 Grad gerne zu. Und so werde ich von den fleißigen Helfern von oben bis unten mit kaltem Wasser aus einer Sprühflasche besprüht. Was für eine Wohltat! Die folgende Abfahrt bringt dann endgültig neue Energie und hochmotiviert nehme ich die noch ausstehenden 35 Kilometer in Angriff. Allerdings mehren sich jetzt die langgezogenen Geraden, auf denen man ständig arbeiten muss und das Gefühl hat, nicht so wirklich vorwärts zu kommen. Langsam verlassen mich meine Kräfte. Ich versuche möglichst effizient zu laufen, wechsle auch des Öfteren die Technik, aber meinen Geschwindigkeitsschnitt kann ich nicht mehr halten. Bis Kilometer 70 bin ich noch im Plan, um unter fünf Stunden zu finishen, dann merke ich aber, dass das wohl nicht zu schaffen sein wird. Es geht vorbei an Luckenwalde und ich sehne die letzte Verpflegungsstation herbei. Andrea habe ich nun schon mehrere Kilometer nicht mehr gesehen, die Strecke führt nämlich nun abseits der Hauptstraßen, wo man sich als Fremder mit dem Auto nur sehr schwer zurechtfindet. Dann erreiche ich Kolzenburg und damit 14 Kilometer vor dem Ziel die letzte Möglichkeit zum Auftanken. Allerdings bringe ich außer einem Becher Wasser und einer getrockneten Aprikose nichts mehr in meinen Bauch, der nun auch zu rebellieren beginnt. So kurz vor dem Ziel hatte ich mir das Rennen nicht mehr so hart vorgestellt. Aber ich kämpfe weiter und zwei, drei Kilometer später schließt ein Rennradler von hinten zu mir auf. Er fragt mich, was das hier denn für ein Wettbewerb sei und bietet mir sogar Windschatten an. Ich lehne dankend ab, schließlich wäre das nicht fair meinen Konkurrenten gegenüber gewesen. In Neunhof entdecke ich schließlich einen Wegweiser, der noch 2,5 Kilometer bis Kloster Zinna ausweist. Von dort sind es noch 2,5 Kilometer bis zum Ziel. Allerdings folgt die Strecke nicht diesem Hinweis, sondern führt in einem Bogen über die kleine Siedlung Werder. Das gibt mir zwar noch einmal einen Knacks im Selbstvertrauen, das Ziel noch zu erreichen, aber schließlich ist auch diese Hürde überwunden. Kurz vor Kloster Zinna wartet dann meine Frau ein letztes Mal auf mich. Verpflegung brauche ich zwar jetzt keine mehr, dafür aber die Anfeuerung. Schneller werde ich dadurch nicht, jedoch halte ich weiter durch. 2.500 Meter können unglaublich lang werden, aber im Vergleich zu den 90 Kilometern zuvor sind sie immer noch eine Sprintdistanz. Und so erreiche ich die Skate-Arena, in der ich zum Abschluss noch zwei Ehrenrunden drehen darf. Erst dann wird meine Zeit gestoppt und meine Uhr bleibt bei 5:23 Stunden stehen. Noch nie war ich nach einem Rennen so kaputt. Ich lege mich direkt neben dem Asphalt ins Gras und rühre mich erst einmal für fünf Minuten überhaupt nicht. So langsam wird mir bewusst, dass ich es geschafft habe …

Das Rennen gewonnen hat Valentin Mättig. Er benötigte für die 92 Kilometer gerade einmal 3:49 Stunden. Tom Reichelt musste seine Siegambitionen nach einem Zusammenstoß mit einem Rennradfahrer begraben, belegte aber immerhin noch Platz zwei. Schnellste Dame war wieder einmal Jana Gärtner, die nach 5:38 Stunden das Ziel erreichte. Die Kurzstrecke über 43 Kilometer dominierten weitere DSV-Kaderathleten. Monique Siegel und Denise Herrmann überquerten gemeinsam die Ziellinie als erste Damen, Lukas Pecher war Schnellster bei den Herren. Der Event klang schließlich am Abend bei Grillfleisch und Getränken aus und es stellten sich noch einige Athleten zum nicht ganz ernst gesehenen Doppelstockschieben sowie Flutlichtsprint. Die Stimmung kochte förmlich, als sich die Kaderathleten im Duell mit dem Nachwuchs maßen und es zur Freude der Zuschauer nicht schafften, drei Stadionrunden schneller zu beenden, als die jungen Talente zwei. Letzteren funkelten bei der Überquerung der Ziellinie die Augen. Dieses Erlebnis werden sie wohl nie vergessen. Ich selbst werde dieses Rennen ebenfalls noch lange im Gedächtnis behalten und bedanke mich bei Lars Schlegel für die Einladung, sowie bei allen Helfern entlang der Strecke für die perfekte Unterstützung. Auf ein Neues im nächsten Jahr!