
Kurz vor Saisonende kehrt der Langlauf Weltcup für einen Freistilsprint ins estnische Tallinn zurück. Austragungsort ist wie 2023 das Festivalgelände der Stadt und auch diesmal gibt es Einheitswachs für alle Athleten.
Estland seit 1918 unabhängig – und erneut seit 1991

Anlässlich des 105. Jubiläums der ersten estnischen Unabhängigkeit machte der Langlauf Weltcup 2023 erstmals in der estnischen Hauptstadt Tallinn Station und kehrt nun zwei Jahre später dorthin zurück. Estland ist das nördlichste der drei baltischen Staaten, in dem es auch viele deutsche Einflüsse gibt. Bis zum Zweiten Weltkrieg lebten über viele Jahrhunderte zahlreiche sogenannte Deutsch-Balten im heutigen Estland, die den den Adel und den Großteil des Bürgertums sowie die Mehrzahl der Stadtbewohner stellten. Das änderte sich Ende der 1930er Jahre, als Hitler die Umsiedlung der „rassisch wertvollen“ Deutsch-Balten „heim ins Reich“ befahl. In der Folge wurde Estland weiter russifiziert und von der Sowjetunion annektiert. 50 Jahre später fanden im Rahmen der Perestroika im März 1990 wieder erste Parlamentswahlen in Estland statt und das Land erklärte sich zur Republik. Seit 20. August 1991 ist Estland wieder unabhängig wie auch die baltischen Nachbarn Lettland und Litauen, die ebenfalls zu dieser Zeit vom Westen als unabhängige Staaten anerkannt wurden. Estland hat heute etwa 1,4 Millionen Einwohner, darunter laut statistischer Erhebung 2021 etwa 65 Prozent Esten und 23 Prozent Russen. In der Stadt Tallinn selbst, wo etwa 445.000 Menschen leben, ist das Verhältnis von Esten zu Russen mit 53 zu 44 Prozent Muttersprachlern noch ausgeglichener. Tallinn ist das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Estlands und liegt am Finnischen Meerbusen der Ostsee, etwa 80 Kilometer südlich von Helsinki. Bis zur Unabhängigkeit 1918 hieß Tallinn amtlich Reval, im estnischen gibt es den Namen Tallinn aber schon seit der Eroberung durch den dänischen König Waldemar im Jahr 1219. Er wird üblicherweise abgeleitet von Taani-linn(a), was „Dänische Stadt“ oder „Dänische Burg“ heißt. Die Altstadt wurde 1997 zur Liste des UNESCO-Weltkulturerbe hinzugefügt als „außergewöhnlich vollständiges und gut erhaltenes Beispiel einer mittelalterlichen nordeuropäischen Handelsstadt“. Zudem ist die Stadtmauer eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Im Mittelalter war Tallinn, das 1230 gegründet wurde, eine der am besten befestigten Städte an der Ostsee.
Zwei Runden auf dem Festivalgelände

Auch wenn man bei einem City-Sprint in Tallinn, einer Stadt, die auf Meereshöhe gelegen ist, einen flachen Sprintkurs erwarten würde, ist es doch nicht ganz so. Das weiß man spätestens seit der Weltcup-Premiere 2023. Auch Tallinn hat ein paar Hügel, wenn auch mit etwa 50 Meter Höhe deutlich kleiner als Estlands größter „Berg“, der Suur Munamägi mit 318 Metern im Süden des Landes. Der Sprint wird auf dem Festivalgelände der Hauptstadt ausgetragen, einer Konzertmuschel mit ansteigendem Zuschauergelände. Auf der Bühne finden fast 15 000 Sänger Platz und das Gelände kann bei Musikveranstaltungen 100 000 Zuschauer aufnehmen. Der Komplex ist architektonisch sehr wertvoll und es ist das erste moderne Gebäude der Nachkriegszeit in Tallinn, das in 1960 fertiggestellt wurde. Auf die Sportler wartet wieder der definitiv schwierigste City-Sprint, dessen hügeliger Kurs auf dem Festivalgelände 2023 noch einige unvorbereitete Athleten überrascht hatte. Die Rundenlänge beträgt 750 Meter, die zweimal zu absolvieren ist mit 23 Metern Anstieg pro Runde. Der Start befindet sich vor der Konzertmuschel und von dort geht es direkt bergauf zur Gustav Ernesaksa Statur, von dort geht es nach unten mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 km/h. Michael Hellweger wurde 2023 im Prolog sogar mit 63 km/h geblitzt. Die Ziellinie befindet sich vor der Bühne und ist 80 Meter lang und die gesamte Strecke ist für die Zuschauer komplett einsehbar. Die Strecke wurde dieses Jahr schon sehr frühzeitig fertiggestellt, um Hobbyläufern die Möglichkeit zu geben, seit Ende Januar auf dem Kurs zu trainieren. Da es auch an der estnischen Küste dieses Jahr an Naturschnee mangelte, wurden innerhalb von zwei Wochen 12.045 Kubikmeter Schnee produziert. Die Schweizer Bächler Trinity Tridusa Schneekanonen liefen 338 Stunden durch und sind perfekt dafür geeignet, bei Temperaturen nur knapp unter Null und hoher Luftfeuchtigkeit Schnee herzustellen. Sie verbrauchen mit vier Kilowattstunden nur ein Fünftel der Energie, die Schneekanonen üblicherweise benötigen. Da Kunstschnee dreimal langsamer schmilzt als Naturschnee ist eine Unterlage von Kunstschnee bei allen Weltcuporten gang und gäbe, auch wenn natürlicher Schnee vorhanden ist.
Einheitliche Wachsbedingungen 2.0
2023 konnten die Teams erstmals ohne ihre Wachstrucks zu einem Weltcup anreisen, auch die Anzahl der Wachser vor Ort war reduziert, um die kleinen und finanzschwächeren Teams näher an die großen Mannschaften heranbringen. Die wenigen mitgereisten Techniker konnten sich am Tag vor dem Wettkampf ihren Wachsplatz einrichten und das Transportwachs entfernen. Jeder Athlet durfte nur zwei Paar Ski dabei haben, die er zwischen Prolog und Finalläufen wechseln konnte. Auch 2025 gibt es wieder einheitliches Wachs, dennoch wurden die Regeln etwas modifiziert. Diesmal ist es erlaubt, gemeinsam mit Technikern die Ski zu testen, bevor sie dann zum Wachsen abgegeben werden. Das Wachsen ist diesmal einfacher und fairer. 2023 gab es noch keinen gut funktionierenden Fluor-Test, so dass die FIS nicht wusste, was mit dem Ski gemacht wurde, bevor das fluorfreie Einheitswachs aufgetragen wurde. Die Ski aller Athleten werden diesmal durch neue Methoden viel schneller präpariert als noch vor zwei Jahren. „Das Wachs wird mit Hilfe von Druckluft auf die Ski gesprüht und nach dem Antrocknen eingebürstet. Die Benutzung eines Bügeleisens ist nicht mehr erforderlich. Die Arbeit an einem Paar Ski dauert nur noch fünf Minuten und im Grunde genommen braucht man nur noch ein Paar Ski für den Wettkampftag“, sagte der Este Robert Peets vom FIS Weltcup Komitee. Er widerspricht Gerüchten, dass irgendwann viele Wachser ihren Job verlieren könnten, wenn vermehrt einheitlich gewachst wird. „Solches Einheitswachs kommt nur bei City-Sprints in der freien Technik in Frage. Wenn wir in Tallinn klassisch laufen würden, wäre so ein Vorgehen undenkbar“, sagte er und FIS Renndirektor Michal Lamplot stimmte ihm zu, dass die Wachstechniker keinen Grund zur Sorge haben.
Wer ist in Tallinn dabei?
Das Team der Gastgeber wird aus sechs Damen und elf Herren bestehen und beinhaltet wie 2023 wieder einige junge Talente. Damals qualifizierte sich Karl Sebastian Dremljuga, der diesmal auch wieder dabei ist, eher überraschend fürs Viertelfinale, die estnischen Hoffnungen ruhigen aber nun eher auf den Damen mit den Kaasiku-Zwillingen Kaidy und Keidy (23) und der drei Jahre älteren Mariel Merlii Pulles, die in dieser Saison in Sprints schon gute Leistungen zeigten. Im norwegischen Team wollen Johannes Høsflot Klæbo und Kristine Stavås Skistad ihre Siege aus 2023 wiederholen. Klæbo reist zusammen mit seinen Sprintkollegen Erik Valnes, Even Northug, Matz William Jenssen, Håvard Solås Taugbøl, Ansgar Evensen, Oskar Opstad Vike und Mattis Stenshagen nach Tallinn, wo bei ihm wegen seines dort lebenden Großvaters väterlicherseits Heimatgefühle aufkommen. Skistad ist in Gesellschaft von Julie Myhre, Lotta Udnes Weng, Mathilde Myhrvold, Elena Rise Johnsen und Johanne Hauge Harviken vor Ort, geht aber ja bekanntermaßen immer ihre eigenen Wege und zieht sich von den anderen zurück. Während bei Klæbo, der auf dem Weg zu seinem siebten Gesamtsieg im Sprintweltcup (aktuell nur 43 Punkte vor Valnes) ist, eine Wiederholung des Sieges von 2023 sehr wahrscheinlich erscheint, wird das bei Skistad eher schwierig, die es mit der schwedischen Armada zu tun bekommt. Zwar muss das Team auf die seit dem letzten Wochenende erkrankten Jonna Sundling, Marcus Grate und Oskar Svensson verzichten, hat mit Maja Dahlqvist, Johanna Hagström und Emma Ribom immer noch Sieg- und Podestkandidaten im Team wie auch durch Edvin Anger bei den Herren. Außerdem gehören Moa Ilar, Moa Lundgren, Märta Rosenberg, Anton Grahn und Måns Skoglund (beide Medaillengewinner der U23-WM), Emil Danielsson, George Ersson und Johan Häggström zum Aufgebot. Für Linn Svahn ist die Saison jedoch bereits beendet wegen ihrer Gehirnerschütterung vor Beginn der WM in Trondheim. „Es geht ihr immer besser, aber sie ist noch nicht bereit für eine derartige Belastung“, sagte Team-Arzt Rickard Noberius.
Joensuu vor Sieg im Sprintweltcup
Finnlands Jasmi Joensuu reist mit beruhigendem Vorsprung im Sprintweltcup nach Tallinn. Nach ihrem Kollaps bei der WM ist sie wieder einsatzfähig und kann die kleine Kristallkugel nur noch rechnerisch verlieren. Auf ihre erste Verfolgerin Jonna Sundling, die gar nicht am Start ist, hat sie 148 Punkte Vorsprung, dahinter folgen Nadine Fähndrich, Maja Dahlqvist, Laura Gimmler und Jessie Diggins mit noch rechnerisch möglichem Abstand von weniger als 200 Punkten. Zwei Top-20 Plätze reichen der Finnin aber zum Gewinn der kleinen Kristallkugel, die bisher erst eine Finnin gewann mit Virpi Kuitunen im Jahr 2007. Neben Joensuu vertreten auch Jasmin Kähärä, Anni Lindroos, Katri Lylynperä, Kerttu Niskanen und Amanda Saari die finnischen Farben, die Krista Pärmäkoski ist die Saison aber schon nach Oslo beendet. Bei der WM zog sie sich einen Muskelriss im Hüftbeuger zu und quälte sich seitdem durch Training und Rennen. Die 50 Kilometer in Lahti sind bei ihrer aktuellen gesundheitlichen Verfassung unmöglich, so dass die Saison verfrüht endet. Bei den Herren sind Emil Liekari, Wiljam Mattila, Niilo Moilanen, Joni Mäki, Verneri Suhonen und Lauri Vuorinen, der zweifache Medaillengewinner von Trondheim, nominiert. Bei den Franzosen ist Lucas Chanavat zurück im Team, der seit dem WM-Sprint nicht mehr eingesetzt wurde, auch der WM-Vierte Jules Chappaz, Renaud Jay und Remi Bourdin sind dabei. Renaud Jay gab am Montag mit 33 Jahren sein Karriereende bekannt. Außerdem erhält Victor Cullet Calderini seinen zweiten Weltcupstart, das Damen-Quartett besteht aus Melissa Gal, Julie Pierrel, Lena Quintin und Debütantin France Pignot. Italien schickt sechs Athleten und darunter mit Federia Cassol nur eine Frau. Federico Pellegrino will in Tallinn aufs Podium und Michael Hellweger kehrt nach Krankheit zurück. Er erkrankte unmittelbar vor dem Sprint und verpasste damit die WM. Außerdem sind Davide Graz, Simone Daprà und Martino Carollo nominiert.
Vier ÖSV-Sprinter in Tallinn
Nachdem der Distanz Weltcup in Oslo für das österreichische Team krankheitsbedingt komplett ausfiel, sind zumindest die Sprinter bereit und heiß für den nächsten Einsatz. Die Reise nach Tallinn tritt mit Magdalena Scherz und den drei männlichen ÖSV-Sprintern Michael Föttinger, Benjamin Moser, Lukas Mrkonjic sowie Magdalena Scherz ein Quartett an. Mrkonjic, der 26-Jährige aus Fuschl am See, erreichte vor zwei Jahren in Tallinn sein bis dato bestes Weltcupresultat, als er es das bisher einzige Mal ins Halbfinale schaffte. Danach war sein Sportlerleben aber von vielen Krankheiten geprägt. Durch ein Übertraining und schweren Virusinfekt verlor er eine ganze Saison und nähert sich jetzt langsam wieder dem Halbfinale an.
Sonnige Bedingungen bis Sonnenuntergang
In Tallinn liegen aktuell Tag- und Nachttemperaturen über Null. Am Mittwoch erwartet die Sportler ein sonniger Tag und Sonne, Wolken und leichter Wind bei 6°C sorgen auch beim Prolog vermutlich für eher weiche Bedingungen wie schon 2023. Die Heats beginnen erst in der Dämmerung eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, wo die Temperaturen leicht sinken. Mitte der Woche gibt es für Langlauf bei den Öffentlich-Rechtlichen keine Sendezeit, aber Eurosport1, SRF2 und ORF Sport+ übertragen das Rennen live. Den Prolog kann man wie immer bei Discovery+ verfolgen.
Zeitplan Tallinn
Mittwoch, 19. März 2025
15:30 Uhr: Prolog Freistilsprint
18:00 Uhr: Finalläufe Freistilsprint