Red Bull Nordenskiöldsloppet: 200 Kilometer auf der Suche nach der Leistungsgrenze

Thomas beim Zieleinlauf, gut acht Minuten hinter dem Sieger auf einem sensationellen achten Rang © Marco Felgenhauer

Mein einziger Gedanke: so lange wie möglich am Zug der Skandinavier bleiben! Jeder Schub zählt auf dem Weg dem Ziel entgegen. Und Doppelstockschübe musste Thomas Freimuth so einige machen, bei seinem ersten 200 Kilometer Langlaufrennen.

München, Stockholm, Kiruna und vom Flughafen aus noch zweieinhalb Stunden südwärts mit dem Mietwagen. Wir erreichen Jokkmokk am späten Nachmittag, nach einer bunten und anstrengenden Mischung aus Flug und Autofahrt. Ein Ort, wie er typisch ist für den Norden Schwedens: ein paar rote Holzhäuser, zwei kleine Supermärkte und eine Tankstelle, eine schöne Holzkirche und eine handvoll öffentlicher Gebäude, dazu das „Hotell Jokkmokk“. Das sollte also unser Basislager werden für die nächsten drei Tage bei einem Langlauf-Abenteuer der besonders anstrengenden Art. Schon die ganze Skimarathon-Saison über geisterte die Nachricht wie ein Phantom durch die Szene, anfangs nicht viel mehr als ein Gerücht, später schon als handfeste Nachricht. „Hast du schon von diesem langen Rennen im April in Schweden gehört?“ wurde ich regelmäßig gefragt. Und anfangs war es tatsächlich schwierig, Informationen dazu zu bekommen, sofern man nicht den exakten Namen parat hatte um die Internet-Adresse zu finden. Irgendwann hatte ich es dann aber gelernt: www.redbullnordenskioldsloppet.se, benannt nach dem Sponsor und demjenigen, der zum ersten Mal die Idee hatte, Langläufer auf eine Strecke jenseits der 200 Kilometer-Distanz zu schicken.

Unser Saisonfinale war eigentlich der Skadi Loppet, dementsprechend war das Training ausgelegt. Danach blieben zwei Wochen Zeit, sich auf die gut vierfache Distanz vorzubereiten. Wie sollte das klappen? Im Training näherte ich mich mit einer 6-Stunden-Einheit der Belastungszeit einmal an, musste aber schnell einsehen dass die Regenerationszeit zu lange wird, um in den verbliebene Tagen an die 200 Kilometer Marke heran zu kommen. Es bleibt eine Reise ins ungewisse.

Thomas und Christoph beim Skitest im Zielbereich © Marco Felgenhauer

Im Jahre 1884 war der Nordenskiöldsloppet, damals natürlich noch nicht so benannt, die Idee des Abenteurers Adolf Erik Nordenskiöld, der beweisen wollte, dass die hier in Lappland heimischen Sami imstande sind, derartige Distanzen am Stück zurück zu legen. Der Versuch gelang, blieb aber, als Beweis für die unglaublichen Leistungen der Sami auf seinen Expeditionen, ein einmaliges Ereignis. Die Legende bildete jedoch eben jene Grundlage, die so ziemlich jeder schwedische Skimarathon zu brauchen scheint um seine Tradition zu belegen. Mithilfe eines der begehrtesten Sponsoren der Sportwelt überhaupt erschuf der ausgewanderte Österreicher Wolfgang Mehl das längste Langlaufrennen der Welt. In Jokkmokk selbst ist von so viel Glamour erst einmal wenig zu spüren. Von einem Event im Stile eines Vasaloppets ist diese Veranstaltung, logischerweise, weit entfernt. Den Zieleinlauf suchen wir zunächst vergeblich, bevor wir herausfinden, dass die letzten 500 Meter der Loipe direkt am Hotel vorbei führen. Noch zwei Tage vor dem großen Start sieht das Stadion bestenfalls aus wie bei einer Vereinsmeisterschaft, die Strecke ist weitestgehend unpräpariert. Allein die große Anzahl an ausgemergelten Langstrecken-Athleten, die bereits die ersten Ski testen, lässt ein größeres Rennen vermuten. 335 von ihnen sollten schließlich am Start stehen. Doch zuvor sind ein paar kleinere Vorkehrungen zu treffen.

Die Anreise war nicht ohne. Um drei Uhr früh raus, ab zum Flughafen, Wartezeit in Stockholm und eine lange Autofahrt. Auch das muss der Körper erst einmal wegstecken, nicht mehr ganz zwei Tage vor dem großen Start. Zumindest bleibt mir und dem kleinen Team mit Trainingspartner Christoph Friedl, Betreuerin Sabine Maier und Fotograf Marco Felgenhauer noch der Samstag, um uns zu akklimatisieren und die letzten Vorbereitungen zu treffen. Und zum Glück ist die Verpflegung im gemütlichen Hotel Jokkmokk gut und vor allem ausreichend.

Größere Stockteller © Marco Felgenhauer

Samstag, gegen Mittag, das herrliche Frühstücksbüffet hatte einiges an Zeit eingefordert: die Sonne brennt vom Himmel und verwandelt die obersten Schneeschichten in ein feucht pappiges Gemisch. Ja, auch hier in Nordschweden, ein paar Kilometer nördlich des Polarkreises, zieht Anfang April langsam der Frühling herauf. Ein erster Lauftest auf der Zielschleife hat ein klares Ergebnis für unsere beiden Athleten Thomas und Christoph: mit Standard-Stocktellern ist Doppelstockschieben auf dem weichen Untergrund quasi unmöglich. Von Diagonal-Technik spricht auf diesen Distanzen auf flachem, schwedischem Geläuf sowieso niemand. Zum Glück findet sich ein kleiner Sportshop im Zentrum von Jokkmokk, der jedoch in Sachen Lagerkapazität an Stocktellern am Limit zu sein scheint. „Normalerweise verkaufe ich 10 Teller im Jahr, heute gingen schon 50 Paar über den Ladentisch“, erklärt uns Ladenbesitzer Erik mit erfreutem Grinsen, verspricht uns aber die „zwei letzten“ Paar für je 20 Euro zu verkaufen. Wie er dann trotzdem noch die anderen wartenden Langläufer bedienen konnte bleibt sein geschäftsmännisches Geheimnis. Sei’s drum. Eine Lappland-Pizza, belegt mit Rentier-Fleisch und Blaubeer-Marmelade später sind die Riesen-Teller mit ausreichend Kleber an den dünnen Carbon-Stöcken montiert und somit dieses Problem gelöst. Doch wo verläuft genau noch einmal die Strecke? Abgesehen von historischen Gegebenheiten, die heute wohl kaum mehr nachzuvollziehen sind, erforderte die Wetterlage mehrmaliges Umplanen seitens der Veranstalter. Dass die ursprünglich geplanten 224 Kilometer nicht zu halten sind, wurde uns schon vor der Anreise mitgeteilt. Im allzu warmen April-Wetter würde die Strecke über die Seen zu feucht und damit eine Alternative nötig. Die führt nun etwas weiter südlich durch die Wälder, auf trockenerem Untergrund, mit mehr Höhenmetern aber auch wesentlich schwieriger zu erreichen. An eine kontinuierliche Verpflegung wie bei einem Vasaloppet ist sowieso nicht mehr zu denken, aber zumindest zwei Orte wollen wir noch vorab besichtigen. Zwei Verpflegungspunkte, die für die Läufer nur 30 Kilometer auseinander liegen, für uns aber über 80 Kilometer Fahrstrecke bedeuten. Einmal komplett rum um die Seen und zurück in die Wälder, auf matschigen Schotterwegen, die bei nur ein paar Grad mehr Wärme vollends im Schlamm zu versinken drohen. Langsam verstehen wir, warum der Mietwagen zuvor schon reichlich malträtiert aussah. Das Ergebnis von drei Stunden Fahrerei am Limit von Geschwindigkeitsbegrenzung und Bodenfreiheit: mit knapp eineinhalb Stunden Fahrzeit sollte es möglich sein Thomas und Christoph sowohl 35 Kilometer nach dem Start als auch bei Kilometer 65 und 100 zu erreichen, mit etwas Glück sogar wieder auf dem Rückweg bei Rennkilometer 130 und 165, sowie kurz vor dem Ziel mit 16 Kilometern Reststrecke. Dazwischen sind die beiden auf sich alleine gestellt, mit Trinkrucksäcken und den offiziellen Verpflegungsstellen alle 15 Kilometer. Soweit der Plan, der beim gemeinsamen Abendessen abgesprochen wird.