Heldenverehrung

Wenn es stimmt, dass man aus Niederlagen am meisten lernt, dann habe ich in meinem Leben schon viele Erkenntnisse gesammelt. Hauptsächlich die sportliche Seite meiner Biographie verzeichnet eine wahre Serie von Pleiten. Überflüssig, zu erwähnen, dass es zum Sprung auf das oberste Podest der Siegertreppe nie gereicht hat. Meine äußerst bescheidene Langlaufkarriere war auch schnell beendet, als die beruflichen Herausforderungen die Überhand bekamen. Erst Jahre später begann ich wieder ernsthaft mit dem Sport auf den zwei Latten. Im Januar 1997 konnte ich dem inneren Antrieb, auch einmal wieder ins Wettkampfgeschehen einzusteigen, dann nicht mehr widerstehen und ich meldete mich zur Teilnahme am damals zum zweiten Mal ausgetragenen Skitrail an. Ein Schlüsselerlebnis, das mich schlagartig wieder in die Langlaufszene zurückbrachte. In der Folge absolvierte ich den Skitrail noch mehrmals und dehnte meine Aktionen auch auf weitere Veranstaltungen aus.

Der lästigen Suche in alten Ergebnislisten überdrüssig, wenn bei der Online-Anmeldung nach früheren Resultaten gefragt wurde, entschied ich mich schließlich, eine kleine Datenbank meiner Platzierungen anzufertigen. Ganz klassisch entstand eine Excel-Datei, in der Rennen, Laufzeit und Platzierung vermerkt waren. Um positive Effekte meines Trainings sichtbar zu machen, wurden auch meine Positionierung im Gesamtfeld und der Rückstand zur Siegerzeit in die Tabelle aufgenommen. Der Vollständigkeit halber erhielt auch der Sieger eine Zeile in der Tabelle. Der erste Eintrag war schon ein sehr prominenter Name. Johann Mühlegg war damals noch eine Stunde nach seinem hauchdünnen Sieg gegen den inzwischen verstorbenen Alexei Prokurorow leutselig durch den Zielbereich spaziert, hatte Autogramme auf Startnummern geschrieben und die erschöpften Finisher persönlich aufgemuntert.

Ein Jahr später war es Peter Schlickenrieder, der den Skitrail gewann. Ob der Frust des armen Schlicki, der aus seiner Enttäuschung über die Nicht-Nominierung für die Olympiade in Nagano keinen Hehl machte oder meine Depression über einen völlig verkorksten Lauf größer war, lässt sich heute nicht mehr sagen. Nach so viel Prominenz zum Auftakt erschien mir der Name des Siegers von 1999 fast wie ein Nobody. Es sollte nicht so bleiben. Stanislav Rezak ist noch heute einer der ganz Großen des Volkslaufs. Inzwischen bringe ich es auf ganze vier „Niederlagen“ gegen ihn. Eine noch dramatischere Veränderung meiner Wahrnehmung vollzog sich bei dem vom Stadionsprecher als „Nachwuchsbiathlet aus Nesselwang“ vorgestellten Skitrail-Sieger des Jahres 2000. Sein Name: Michael Greis.


In der Rückschau auf insgesamt 13 Jahre Skimarathon mit insgesamt 53 Volksläufen hat die eigene Platzierung inzwischen völlig an Bedeutung verloren. Viel wichtiger ist das Sammeln der Namen der Sieger der Rennen geworden, in denen ich irgendwo unter „ferner liefen“ rangiere. Natürlich suche ich mir die Ereignisse nicht danach aus, welche Berühmtheiten mitlaufen. Da viele Läufer erst am Anfang ihrer Karriere stehen, wenn sie ein von mir besuchtes Rennen gewinnen, gewinnt diese Betrachtung ihre Bedeutung eher im Rückblick. Ungleiche Duelle sind das, zwischen den normalen Volksläufern, die hinten im Feld die Profis nur erahnen können und den Spitzenläufern, die die Siegerehrung häufig schon mit Trophäe und Preisgeld verlassen haben, wenn unsereins ins Ziel kommt. Die Gelegenheit, sich mit den Großen der Szene im gleichen Rennen messen zu können, macht aber den unvergleichlichen Reiz des Volkslanglaufs aus. Ganz wenige Sportarten bieten dieses Privileg, Sportler der unterschiedlichsten Leistungsstufen so zusammen zu bringen. Schon die früheren Volkslaufveteranen bekamen glänzende Augen wenn die Sprache auf eine Legende wie Pauli Siitonen kam oder drehten völlig durch, wenn das Gerücht die Runde machte, der von allen verehrte Juha Mieto habe für einen Volkslauf gemeldet.

Meine Siegerliste enthält inzwischen 43 unterschiedliche Namen. Fast alle sind in der Langlaufszene bestens bekannt. Rekordhalter ist der bereits erwähnte Stanislav Rezak. Je zwei Mal durfte ich mich mit Peter Schlickenrieder und Anders Aukland messen, beide sowohl mit olympischem Edelmetall als auch mit Siegen bei großen Skimarathons dekoriert. Ein ähnlicher Wanderer zwischen den Welten ist Mikhail Botvinov, der beim denkwürdigen Engadiner Kälterennen 2006 dem gleichen Gegenwind ausgesetzt war wie ich, wenn auch anderthalb Stunden kürzer. Ein besonderes Schmuckstück in meiner Sammlung ist Olympiasieger und Weltmeister Tor Arne Hetland, der den Engadin Skimarathon 2008 gewann, als auch ich meine bisher beste Platzierung bei diesem Rennen erreichte. Jeweils zwei unausweichliche „Niederlagen“ setzte es gegen die Volkslauf-Experten Thomas Freimuth, Pascal Grab, Andreas Möse und Günther Dengg. Klangvolle Namen aus dem FIS Marathon Cup wie Jerry Ahrlin, Oskar Svärd und Daniel Tynell sind ebenso vertreten wie die Weltcup-Starter Martin Tauber, Christophe Perillat, Gion Andrea Bundi und Janko Neuber. Langlaufgeschichte wurde lebendig, als Tom Reichelt im März 2006 am Holmenkollen Dritter wurde und ich mich erinnerte, dass er mir im Januar des gleichen Jahres in Oberwiesenthal im Halbmarathon 26 Minuten abgenommen hatte. Alle diese siegreichen Läufer sind mir ans Herz gewachsen und ich freue mich jedes Mal, wenn sie, sofern noch aktiv, bei einem Wettkampf erfolgreich sind. Klar bekennen möchte ich mich zu meinen ganz persönlichen Favoriten: Johann Mühlegg und Peter Schlickenrieder haben, was den unverkrampften, fast kumpelhaften Umgang mit den normal begabten Volksläufern betrifft, Maßstäbe gesetzt. Beider Karrieren waren von großen Höhen und Tiefen geprägt, beide haben immer wieder Kraft aus der Begegnung mit dem „Fußvolk“ geschöpft und beide haben ihren Optimismus und ihre Begeisterung für den Langlaufsport immer wieder an die Volkslauf-Community weitergegeben.