Viele Sportler sprachen von den besten Spielen, an denen sie je teilgenommen hätten. Mit Ausnahme der politischen Diskussionspunkte gab es also keinen Grund zum Meckern. Fazit: Alles top organisiert. XC-Ski.de blickt zurück auf die Olympischen Spiele in Sochi …
Thema Nummer eins: Das Wetter
Das Wetter ist ein Thema, das man in Sochi (sprich: Soootschi) nicht außer Acht lassen darf. Da war eigentlich alles dabei – und das im Februar. Tagelang frühsommerliche Temperaturen in Sochi über 20°C, also wärmer als bei den Olympischen Sommerspielen in London 2012. Auch oben in Krasnaya Polyana, genauer gesagt im Laura-Langlauf- und Biathlon-Stadion, das nach dem kaukasischen Gebirgsbach Laura (sprich: La-ora) benannt ist, erwarteten die Sportler bei ihrer Ankunft zunächst traumhafte Bedingungen. Schnee en masse, strahlender Sonnenschein – was will das Sportlerherz mehr? Vielleicht nicht ganz so warme Temperaturen, denn für viele Athleten war es vor allem Ende der ersten Woche für Wettkämpfe bei Temperaturen von fast 15° über Null viel zu warm. Genauer gesagt zehn Grad wärmer als sonst in der Region im Februar. Da musste schnell der Laufanzug dran glauben, um eine Sommer-Variante zu kreieren. Oder man ließ das Oberteil gleich ganz weg wie die Amerikanerinnen und zog stattdessen einfach nur die Startnummer an. Das warme, frühlingshafte Wetter brachte aber auch noch andere Probleme mit sich. Probleme, die die Aktiven sonst bei der Ausübung ihres Sports eigentlich gar nicht kennen: In den kaukasischen Bergen war bereits Heuschnupfen-Zeit! Sommer, Sonne, Schnee und – ganz konträr – Palmen am Ufer des Schwarzen Meeres: Das ist Sochi und die dazugehörige Gebirgsregion um Krasnaya Polyana. Doch auch Nebel, Neuschnee und Dauerregen hatten wir während der zweiten Woche durch Tief Dimitri zur Genüge. Davon blieben unsere Langläufer zumindest während ihrer Wettkämpfe aber verschont – und dem kräftigen Dauerregen waren auch in erster Linie die Athleten ausgesetzt, die zur Siegerehrung auf die Medals Plaza nach Sochi hinunter „mussten“.
Materialprobleme bei wechselnden Bedingungen
Zu einem großen Problem wurde das Wetter für die Skitechniker, am härtesten traf es ausgerechnet die Norweger: Die Skandinavier mit dem größten Techniker-Team überhaupt. Mit 25 Mann testen die Norweger, um den besten Ski für ihre Athleten herauszufinden. Nimmt man das Wachs-Team der Biathleten dazu, mit denen in Sochi eine enge Zusammenarbeit bestand, besteht die Service-Mannschaft aus 40 Personen. Doch auch das garantiert nicht, auch das beste Material unter den Füßen zu haben. Mit den frühlingshaften Bedingungen Mitte der Olympischen Spiele kamen die Norweger überhaupt nicht zurecht – was sie auch taten, der Ski lief nicht. „So einen schlechten Ski hatten wir noch nie!“, hörte man in Interviews des norwegischen Fernsehens immer wieder. Beide Staffeln gingen dadurch verloren und an die Rivalen aus Schweden – man blieb sogar völlig ohne Edelmetall in diesen beiden Wettkämpfen. Ein Skandal in Norwegen! Für Biathlon-Damen-Trainer Egil Gjelland kamen die Wachsprobleme „völlig überraschend“. Die am meisten kritisierte Person in diesen Tagen war Chefwachser Knut Nystad, Zwillingsbruder von Trond, dem Cheftrainer der Herren. Ebenfalls hohe Wellen im Mutterland des Skilanglaufs schlug die Eigeninitiative von Petter Northug. Da das Wachsteam mit den Verhältnissen überhaupt nicht zurechtkam, setzte der Schlussläufer in der Staffel alles auf eine Karte. Nachdem seine Kollegen vor allem auf der Klassikstrecke wieder sehr schlechte Ski hatten und chancenlos zurückfielen, bestand er darauf, dass sein Ski unmittelbar vor dem Start noch einmal umgewachst wird. Zusätzlich entschied er, nicht auf die Schliffe der Nationalmannschaft zurückzugreifen, sondern er benutzte einen neuen Ski mit anderem Schliff – sehr zum Unwillen seines Cheftechnikers: „Ja, es ist möglich, dass er auf einem Fabrikschliff gelaufen ist“, meinte Knut Nystad angesäuert im TV-Interview. Der Erfolg gab jedoch Northug Recht, wenn seine starke Leistung mit gutem Material auch nicht von einer Medaille gekrönt wurde – dafür war der Rückstand nach drei Läufern bereits zu groß. Mit den sinkenden Temperaturen kamen jedoch auch die Ski der Norweger wieder ins Laufen, was mit immerhin vier Medaillen belohnt wurde – allerdings alle durch die Damen.
Emotionale erste Rennen und Verwarnung des IOC
Wohl jeder hat vor allem am ersten Wettkampftag mit den extrem emotionalen Norwegerinnen mitgefühlt. Im Ziel waren alle vier in Tränen aufgelöst, auch bei der Flower Ceremony flossen bei Marit die Tränen – und das nicht wegen des norwegischen Erfolgs. Grund war der plötzliche Tod von Sten Anders, Bruder von Astrid Uhrenholdt Jacobsen und Ex-Freund von Therese Johaug, am Abend der Eröffnungsfeier. Marit, Therese, Heidi und Kristin traten im Skiathlon für die nicht startende Astrid und ihren Bruder an – mit Trauerflor. Was jeder Athlet und jeder Zuschauer verstehen konnte, stieß beim IOC auf Missfallen. So eine Gefühlsäußerung passe nicht zum fröhlichen Image der Olympischen Spiele. Die Athletinnen wurden mit einer Verwarnung belegt. Wie die Damen später erklärten, war ihnen diese Folge bewusst. Sie haben sie dennoch in Kauf genommen.
Alte und neue Verletzungen
Denkt man an die Langlauf-Bewerbe der Olympischen Spiele zurück, kommt man auch am Thema Verletzungen nicht vorbei. Grund dafür waren viele Stürze auf den selektiven Strecken, wie zum Beispiel Marcus Hellner mit einem Foto auf Instagram bewies: Der Abdruck des Skis von Sergej Ustiugov auf dem Oberschenkel des Schweden war deutlich sichtbar. Aber Glück im Unglück. Viel höher hätte der Russe seinen Kontrahenten nicht treffen dürfen… Mit einer alten Verletzung reiste dagegen Dario Cologna an. Der Schweizer war im November beim Joggen auf einer Eisplatte ausgerutscht und hatte sich dabei Innen-, Außen- und Syndesmoseband im rechten oberen Sprunggelenk gerissen. Olympia-Traum geplatzt? Weit gefehlt – für Dario Cologna wurden die Olympischen Spiele in Sochi eher zum olympischen Märchen. Schon im ersten Rennen holte er sich den Olympiasieg und ließ wenige Tage später noch einen weiteren folgen. „Das erste Gold war emotional, das zweite unglaublich“, meinte er nach seinem Doppel-Triumph. Mit Recht. Ein noch frischeres Problem hatte eine der dominierenden Athletinnen der letzten Jahre: Justyna Kowalczyk. Die Polin verletzte sich etwa zwei Wochen vor den Olympischen Spielen am linken Fuß. Starke Schmerzen, Schwellung und Blaufärbung waren die Folge, was sie ihren Facebook-Fans mit einem Foto bewies. Genaueres über den Unfallhergang hielt sie gegenüber der Öffentlichkeit geheim. Um ihren Olympiastart nicht zu gefährden, biss Kowalczyk auf die Zähne, trainierte und bestritt ihre Rennen. Da Mutmaßungen aus dem „gegnerischen Lager“ via norwegische Presse immer lauter wurden, ob Justyna simuliere oder ob es sogar ein Bruch sei, entschied sie sich doch zu einer Röntgendiagnostik. Sofort – und nicht erst wie geplant nach dem Klassikrennen, der größten Goldchance. Das Röntgenbild bestätigte den Bruch des äußeren Mittelfußknochens, aber bei der Polin gibt es kein Aufgeben vor dem großen Ziel. Der Fuß wurde mit Tape stabilisiert und außerdem mit Marcain, einem starken Lokalanästhetikum betäubt. „Aber es wirkt nur drei Stunden“, erklärte die Polin. Dennoch stürmte sie zu Gold über 10 Kilometer klassisch und versuchte auch im Freistil-Massenstart ihr Glück, wenn auch von vornherein ohne wirklich Medaillenchance. Das Rennen war für sie wegen Schmerzen schnell beendet: „Kurz nach dem Start hatte ich eine kleine Kollision mit einer anderen Läuferin. Ihr Ski traf meinen verletzten Fuß an einer Stelle, die nicht betäubt war. Nach und nach bekam ich so große Schmerzen, dass ich das Rennen aufgeben musste“, sagte sie im polnischen Fernsehen.
From zero to hero
Von null auf hundert starteten so einige Sportler in Sochi durch, von denen man es vom bisherigen Saisonverlauf nicht unbedingt erwartet hätte. Dazu zählen muss man neben Sprint-Olympiasiegerin Maiken Caspersen Falla, bei der es in diesem Winter noch nicht gut lief, auch ihren Landsmann Ola Vigen Hattestad. Natürlich, viele Langlauf-Fans werden ihn mit auf ihrer Rechnung gehabt haben, die norwegischen Verantwortlichen offenbar nicht. Trotz seiner guten Leistungen bei den norwegischen Meisterschaften lief der Sprinter beim Weltcup in Toblach noch auf Bewährung und nutzte seine Chance. Vom Ersatzmann stieß er ins Aufgebot des olympischen Sprints vor und stürmte zum Titel. Ein ganz besonderes Gefühl, nicht nur wegen des Olympiasiegs: „Ich drehte mich um und sah nur Teodor hinter mir – ein komisches Gefühl“, meinte der Norweger nach dem von ihm unbemerkten Sturzchaos. Als Überraschung muss auch Vesna Fabjan genannt werden: Nachdem es in den letzten zwei Jahren nicht berauschend für die in der Schweiz geborene Athletin lief, kam sie genau rechtzeitig in Form und sicherte sich die Bronzemedaille im Sprint. Ebenfalls als Überraschung muss man die französische Herren-Staffel bezeichnen, die die Gunst der Stunde mit Norwegens Materialproblemen nutzte und zu Bronze stürmte. Edelmetall dieser Farbe ging auch an Emil Jönsson und das gleich zweimal. Sowohl im Einzel- als auch im Teamsprint profitierte der Schwede von Stürzen vor ihm, die ihm fast problemlos die Bronzemedaillen einbrachten. Dabei ist der Schwede doch sonst eigentlich selbst als Sturzpilot verschrien…
Deutsche mit guten Ergebnissen, Edelmetall und viel, viel Pech
In die Rubrik „From zero to hero“ passt auch Steffi Böhler. Die Schwarzwälderin qualifizierte sich nach ihrer überstandenen Krebserkrankung erst auf den letzten Drücker für die Spiele und setzte dann in Sochi noch einen drauf. Nach ihrem Traumlauf über zehn Kilometer klassisch konnte sie sich über den tollen sechsten Platz freuen – für sie genauso viel wert wie eine Medaille! Dieses Resultat gab auch ihren Teamkolleginnen sichtlich Auftrieb, was mit dem Gewinn der Bronzemedaille in der Staffel endete. Sonst waren die Rennen in Sochi mit viel Pech für das deutsche Team verbunden, die noch bessere Ergebnisse verhinderten. Es begann mit Materialproblemen bei Tim Tscharnke, der dann im Sprint auf einen Uralt-Ski zurückgriff, was aber auch nicht entscheidend weiterhalf. Denise Herrmann musste sich im Zielsprint dreimal der Konkurrenz geschlagen geben. Ob die schwere Strecke/Höhenlage, die nachlassende Form oder die Nerven der Grund waren, werden wohl erst die nächsten Wettkämpfe zeigen. Das größte Pech der Spiele ist wohl allen Fans noch deutlich vor Augen: Deutschland, Finnland und Russland kämpfen um Gold im Teamsprint. Sami befindet sich ganz leicht vor Tim, als er auf die Spur des Deutschen rüberschneidet und ihm über den Ski fährt, gerade als der Thüringer das Gewicht verlagert. Da gab es kein Halten mehr. Zunächst gelähmt vor Schock und mit einer Wunde am Schienbein ist dann auch die letzte Chance auf Bronze weg, als Nutznießer Emil Jönsson mit Geschwindigkeitsüberschuss vorbeischießt. Am größten ist am Ende sicher der Ärger über sich selbst – aber was soll man machen? Neue Chance, neues Glück für das DSV-Team im letzten Rennen der Spiele, dem Massenstart. Katrin Zeller hatte als Zwölfte gut vorgelegt und Thomas Bing lag lange auf Kurs „ähnliches Ergebnis“. Doch dann schlug das Materialpech voll zu: „Der zweite Ski war nichts“, da waren sich alle einig. Keine Chance für den besten deutschen Starter ‚Bingo‘, der als 36. das Ziel erreicht.
Sechs Dopingfälle bisher bekannt
Auch diesmal verliefen die Olympischen Spiele nicht ohne Dopingfälle. Insgesamt sind bisher sechs bekannt, weitere sollen aber offenbar noch folgen. Bei drei von sechs Fällen wurde in den Dopingproben Methylhexanamin gefunden, ein Stimulanzmittel, dass offenbar über ein nicht-getestetes Nahrungsergänzungsmittel versehentlich aufgenommen wurde. Dies behaupten sowohl Langlauf-Olympiasiegerin und nun Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle, der italienische Bob-Anschieber William Frullani und der lettische Eishockeyspieler Vitalijs Pavlovs. Erster positiver Fall im Langlauf war die Ukrainerin Marina Lisogor, die positiv auf Trimetazidin getestet wurde. Auch dies ist ein Stimulanzmittel, eigentlich ein Herzmittel, der Wirkstoff kommt aber offenbar auch in einem Angina-Mittel vor, dass die Ukrainerin eingenommen haben will. Trimetazidin steht seit 2014 neu auf der Dopingliste. Den ersten Fall, in dem bewusstes Doping erwiesen ist, verschuldete Johannes Dürr, der sein Vergehen mit EPO zugab und inzwischen vom Österreichischen Skiverband ausgeschlossen wurde. Der sechste Dopingfall der Spiele betrifft erneut einen Eishockeyspieler, den Schweden Nicklas Bäckström, bei dem Pseudoephedrin gefunden wurde. Laut eigenen Angaben nimmt der Schwede seit sieben Jahren ein Allergiemittel ein, dass auch bei regelmäßigen Kontrollen in den USA, wo er in der NHL spielt, nie beanstandet wurde. Pseudoephedrin ist auch in verschiedenen Erkältungsmitteln enthalten und wurde 2002 aus den Dopinglisten gestrichen, ist seit 2010 jedoch wieder verboten.
Olympiasiegerin zum Biathlon?
Nein, es ist kein verfrühter April-Scherz. Aber wenn sie ihr Wort hält, war der Olympiasieg die Krönung ihrer noch recht kurzen Langlauf-Karriere: Maiken Caspersen Falla. Seit Jahren spricht die Norwegerin in Interviews davon, dass ein Olympiasieg das Tollste auf der Welt wäre und falls sie das jemals schaffen sollte, werde sie zum Biathlon wechseln. Als Grund gab die junge Sprintspezialistin, die im April ihren 24. Geburtstag feiern wird, an, dass sie im Falle eines Olympiasieges neue Reize bräuchte, um weiter Höchstleistungen zu erbringen. Für Maiken Caspersen Falla wäre das kein völliges Neuland: Seit ihrer Jugend hat die Norwegerin immer wieder geschossen und auch an dem einen oder anderen nationalen Biathlon-Wettkampf teilgenommen. Aktuell geäußert hat sie sich zu diesem Thema zwar noch nicht, den einen oder anderen Gedanken wird ihr die Idee aber sicher wert sein. Nun, das norwegische Biathlon-Team könnte die 23-Jährige sicher auch gut gebrauchen, wenn in wenigen Wochen die Leistungsträger ihre Karriere beenden.
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Ihr wollt Einzelheiten zu den Olympischen Spielen noch einmal nachlesen? Dann seid ihr in unserem Sochi-Special genau richtig. Dort gibt es neben News, Ergebnissen, Statements und Bildern auch den Medaillenspiegel der Langlauf-Bewerbe.
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