„Schon wieder acht Stunden Autofahrt für einen Langlaufwettkampf? Du musst das schon sehr mögen oder Sigrun?“ So hatte mich ein Patient am Freitagabend kopfschüttelnd von meinem Arbeitsplatz in Zürich verabschiedet. Und wie recht er dabei hat, ich liebe diesen Sport. Und ich liebe die Vorfreude, in den Tagen vor einem Skimarathon. Sind es doch so wenige Läufe, die sich in der kurzen Wintersaison unterbringen lassen. Und so saß ich einmal mehr im Auto auf der Fahrt in meine Lieblingswahlheimat: Tirol!
Zwischen Bregenz und Arlbergtunnel fragte ich mich, woher denn wohl die penetranten Kopfschmerzen kämen. Im Inntal zeigte sich mir auf der Temperaturanzeige die Erklärung: 19 Grad, dazu ein enormer Fönsturm auf den Bergen. Nach Leutasch einfahrend, verfolgte ich im Autorückspiegel die letzten Finisher des 20 Kilometer-Skatinglaufs. Tief sanken sie ein mit ihren Skiern und kämpften gegen den hartnäckigen Wind. Das schien schon mal ein hartes Rennen gewesen zu sein. Mal schauen, was uns Teilnehmer auf der doppelten Strecke am Folgetag erwarten sollte. Den Klassiklauf hatten die Veranstalter absagen müssen, jedoch war es ihnen mit aller Mühe gelungen, eine zehn Kilometer Schleife vor den frühlingshaften Temperaturen zu retten, so dass die Skatingbewerbe stattfinden konnten. Vier Mal galt es für uns Teilnehmer der Langdistanz diese Runde im höher gelegenen Teil des Leutaschtals zu absolvieren. Entspannt ging ich an den Start, die übliche Nervosität stellte sich dieses Mal irgendwie gar nicht so recht ein. Ob das daran lag, dass mir einmal mehr das HWK-Team die Ski gerichtet hatte und ich aus den vergangenen Rennen wusste, dass sie ihr Handwerk bestens verstehen? Durchaus möglich! Vielen Dank an HWK, die Skier liefen prächtig.
Die Sonne vom Vortag hatte sich mitsamt den sommerlichen Temperaturen am Wettkampfmorgen verabschiedet. Stattdessen tanzten die Schneeflocken vom Himmel. Als der Startschuss gefallen war, konnte von Tanzen keine Rede mehr sein: Ein regelrechtes Schneegestöber wirbelte uns Läufern entgegen und stellte uns vor gewaltige Herausforderungen, Kurs zu halten. Denn der gewalzte Korridor war äußerst schmal. Wehe dem, der seinen Ski nicht sauber zurückholte. Wer einen Schlenker mit der Skispitze vollführte oder zu breit zur Seite abstieß, fädelte gnadenlos im Tiefschnee ein und lief Gefahr, eine Bauchlandung zu vollführen. So erging es tatsächlich Einigen. Für mich blieb es (vorläufig) bei einem kurzen Schreckmoment, als mir der Hintermann auf den Stock trat und ich eine unfreiwillige Vierteldrehung nach hinten einlegte. Als ich überprüft hatte, dass sowohl Stockspitze als auch korrekte Schulteranatomie noch vorhanden waren, ging es beschwingt weiter. Den kurzen Fluch schluckte ich netterweise hinunter. Anders mein Vordermann, den ich etwas frech überholte und vorübergehend in seiner Bewegungsfreiheit einschränkte. Der ließ seinem Unbehagen freien Lauf. Ein anderer Hintermann der mir zwei Mal auffuhr, versprach mir dagegen ein Bier für später im Ziel. Ja, man erlebt die unterschiedlichsten Stimmungslagen bei so einem Marathon.
Das Schneegestöber ließ vorläufig noch nicht nach, trotzdem konnte ich vor mir eine Konkurrentin erkennen. Kurz darauf rief uns ein Zuschauer die Plätze zwei und drei bei den Damen zu. Gut zu wissen wo man steht. „Platz drei wäre schön, Platz zwei wäre noch schöner.“ Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf, als ein couragierter Läufer von hinten vorbeizog. „Das ist der Moment“, so dachte ich und klemmte mich in seinen Windschatten, um an der zweiten Dame, der Italienerin Deborah Rosa, die mit tadellosem Stil unterwegs war, vorbeizurauschen. Im Eifer des Gefechts übersah ich eine Bodenwelle und fand mich kurz darauf flach am Boden wieder. Der D-Zug mit der Zweitplatzierten rauschte unbarmherzig vorbei und entfernte sich Meter um Meter. „Komm schon, die kriegst du wieder“ sagte die eine Stimme in mir. „Ach Mann, voll verbockt, so ein Pechtag“ sagte die andere. Stimme Nummer Eins siegte und mit jedem km/h den ich wieder an Fahrt aufnahm, kehrte die Motivation zurück. Sie rückten tatsächlich wieder näher und am Anstieg in Richtung Start-/Zielgelände hatte ich sie wieder eingeholt. Eine halbe Runde später gelang es mir, mich von der Italienerin abzusetzen. Das Schneegestöber hatte sich inzwischen beruhigt und die wolkenverhangenen Berge kamen immer mehr zum Vorschein. Ebenso kamen mir jetzt auch die zahlreichen Helfer an der Strecke ins Blickfeld, die an den Straßenüberquerungen immer wieder Schnee aufhäuften, die an riskanten Stellen postiert waren oder am Verpflegungsstand für manchen Läufer die Rettung waren. Ein ganz großes Lob spreche ich hier sicher im Namen der rund 900 Starterinnen und Starter des 47. Ganghoferlaufs aus. Die Veranstalter und Helfer haben erneut eine Meisterleistung vollbracht und ein rundum gelungenes Wettkampfwochenende, trotz sicher nicht leichter Bedingungen, auf die Beine gestellt.
Inzwischen war ich in Runde drei und folgte einem Vordermann dicht auf den Fersen. „Tempo passt, so können wir eigentlich bis ins Ziel laufen“, dachte ich mir so schön, als er leider beim Überholen einer überrundeten Läuferin zu Boden stürzte. Da hieß es nun alleine im Wind zu laufen, gut nur dass ich jetzt in Runde vier wechselte und das Ganze absehbar wurde. Denn um ehrlich zu sein, locker lief ich an dieser Stelle nicht mehr. Das technisch eingetrichterte „Hüfte nach oben“ wollte nicht mehr recht klappen und das „lange Gleiten“ war angesichts des immer stumpferen Schnees kaum noch möglich. Nun denn, möge der Stärkere gewinnen, lautete mein Motto, als ich die letzten Kraftreserven mobilisierte und mich nochmals dem „Kirchplatzl“ näherte. Nun kamen mir die späteren Sieger um Nils Weirich schon von oben entgegen. Zähne zusammenbeißen, bei den Leuten vom Fototeam ein Lächeln versuchen und beim Überholen Luft anhalten. So die Devise auf den letzten Kilometern. Und so erreichte ich mit 5:26 Minuten Rückstand auf die Siegerin Sigrid Mutscheller sehr glücklich das Ziel. Inzwischen lachte auch die Sonne vom Himmel und die Kilometerangabe auf der Pulsuhr zeigte gar 44 Kilometer an. „Leutasch tut mir gut“ – das Motto des 47. Ganghoferlaufs hat sich tatsächlich bewahrheitet und erneut spreche ich vermutlich im Sinne manchen Läufers wenn ich sage, dass Leutasch, mit seinen liebenswerten Leuten und Loipen tatsächlich gut tut und dass ich mir dieses gute Gefühl auch in den nächsten Jahren nicht werde nehmen lassen.