Beim Check In zum Rückflug am Flughafen der Millionenmetropole Minneapolis-St. Paul treffe ich nicht nur andere „Birkie-Warriors“, sondern werde auch von Passanten angesprochen: „Hey, you did the Birkie? Great, that you came by!“ Da wird mir erst so richtig bewusst, welchen Stellenwert Skilanglaufen hier in der Region genießt und warum der Birkie mit dieser ganz besonderen Stimmung aufwarten kann.
Aber alles der Reihe nach! Beim Worldloppet-Meeting im Juni letzten Jahres komme ich mit Ben Popp ins Gespräch. Er ist OK-Chef des American Birkebeiner, dem größten Skimarathon auf dem amerikanischen Kontinent. Ben lädt mich ein, 2024 an der 50. Auflage des Birkies teilzunehmen. Nur eine Woche nach dem Weltcup in Minneapolis soll der eine oder andere Weltcup-Athlet, aber definitiv Local-Hero Jessie Diggins an den Start gehen. Zudem erwartet mich im Ziel der siebte Stempel in meinem Worldloppet Pass. Die Reiseorganisation ist zwar zeitlich etwas aufwendiger, aber mit dem ESTA (Anmeldung zur Einreise), Flugticket und Mietwagenbuchung in der Tasche kann es losgehen.
Etwas geknickt bin ich dann schon, als ich erfahre, dass der Birkie nicht auf der Originalstrecke stattfinden wird, aber ich setze dennoch vollstes Vertrauen in die Organisatoren, dass sie ein tolles Event auf die Beine stellen werden. Und genau so kommt es dann auch. Aufgrund meines engen Zeitplans reise ich am Mittwoch an und beziehe mein Quartier bei Dave und Grace. Die beiden sind langjährige Volunteers und beherbergen jedes Jahr Teilnehmer in ihrem Feriendomizil, das eigentlich direkt an der Birkie-Strecke liegt. Vor mir waren schon so bekannte Langläufer wie Sergio Bonaldi und Niklas Dyrhaug bei ihnen zu Gast. Dieses Jahr teile ich mir das Gästezimmer mit meinem Landsmann Christian Winker. Wir werden beide bestens von unseren Gastgebern versorgt und kaum ist auch nur ganz leise ein Wunsch geäußert, wird er uns bereits erfüllt. Ein erster Beleg für mich, welchen Stellenwert der Birkie und seine Teilnehmer hier in der Region genießen.
Am nächsten Tag geht es mit Christian zur Streckenbesichtigung. Normalerweise schlängelt sich der „Birkie Trail“ durch stark welliges Gelände zwischen Cable und Hayward. Als Zielgerade dient die Mainstreet im 2.500 Einwohner Ort. Aber auch im Norden der USA herrscht diesen Winter Schneemangel und so muss man sich mit Kunstschnee behelfen. Am Startort Cable wurde eine zehn Kilometer Runde präpariert, die wir nun unter unsere Ski nehmen wollen. Am Einstieg gabeln wir noch Lucas Bögl auf, der nach dem Weltcup in Minneapolis vor Ort geblieben ist, um wie wir den American Birkebeiner zu bestreiten. Die Runde ist in sehr gutem Zustand und wir erwarten alle drei ein schnelles Rennen am Samstag, dem Tag des Hauptlaufs. Die zehn Kilometer weisen zwar keine Höchstschwierigkeiten auf, sind aber für einen Skimarathon durchaus als anspruchsvoll zu bewerten. Zwar fehlen lange Anstiege, dafür muss man ständig arbeiten und hat nur wenig Zeit, sich zu erholen. Während die beiden Elite-Läufer Christian und Lucas 50 Kilometer und damit fast die Originaldistanz zu absolvieren haben, werden es für mich, der in Welle 1 startet, nur 30 Kilometer sein.
Am Nachmittag mache ich mich dann auf den Weg nach Hayward, um meine Startnummer abzuholen. Dort habe ich mich mit Gunnar, dem in der Szene nur als „Worldloppet Skier“ bekannten Pressechef des Weltverbandes der größten Skimarathons, verabredet. Er ist bereits zum zweiten Mal am Start und führt mich durch die Startnummernausgabe sowie die Expo. Nicht, dass ich eine Führung gebraucht hätte, zu hilfsbereit sind die Volunteers an jedem Punkt. Aber ein Worldloppet-Event ist immer auch wie ein riesiges Klassentreffen unter Gleichgesinnten. So treffe ich nicht nur Frank, einen US-Amerikaner, den ich vor 22 Jahren beim Kangaroo Hoppet in Australien kennengelernt und den ich seitdem nicht mehr gesehen habe, sondern auch andere Deutschsprachler und alte Bekannte. Die Zeit verfliegt mit all den Gesprächen übers Material, das Rennen und vielen weiteren Themen. Es wird Zeit, wieder zurück in mein Quartier zu fahren.
Am Freitag steht nicht allzu viel auf meinem Zeitplan. Vormittags verfolge ich Gunnar mit der Kamera. Er hat sich für die Teilnahme am Korteloppet (20 Kilometer) in klassischer Technik entschieden und gibt ganz schön Gas. Am Ende landet er auf Rang drei der Gesamtwertung bei den Hobbyläufern. Am späten Nachmittag präpariere ich im Wachsraum von Dave und Grace meine Ski und leihe mir dazu ihr Bügeleisen aus, das mit 110/120 Volt zurechtkommt, die in den USA Standard sind. Meine anderen elektronischen Geräte funktionieren mit einem Adapter für US-Steckdosen dagegen einwandfrei. Netzteile zum Laden von Smartphones und Laptops kommen meist mit den niedrigeren Voltzahlen klar. Am Abend gibt es Pasta und ich bereite schon mal den Rest meiner Ausrüstung für das Rennen vor. Dann geht es früh ins Bett, denn um 4 Uhr klingelt der Wecker.
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Dank der Zeitverschiebung zwischen Europa und den USA fällt es mir nicht schwer, zu dieser frühen Stunde aufzustehen. Es gibt Oatmeal (gekochte Haferflocken) mit Joghurt, Marmelade und Früchten. Hmm, lecker! Dann begebe ich mich in Richtung Start und wundere mich, dass 1:30 Stunden vor dem Schuss noch wenig los ist. Auf der Strecke bin ich der Einzige, die Erklärung folgt aber umgehend. Freundlich bitten mich zwei Helfer, den Rennkurs zu verlassen, da er bis zum Start gesperrt ist. „Sorry“, kann ich da nur sagen und absolviere mein Aufwärmprogramm nun abseits. Erst 30 Minuten vor dem Start wird es langsam etwas voller. Mit den Skiern in der Hand stehe ich schließlich mit den anderen Läufern der ersten Welle vor dem Einlass zum Startgelände. Hier muss nämlich keiner eine Stunde vor dem Start seinen Platz reservieren, um dann möglichst weit vorne zu stehen, wo er eigentlich gar nicht hingehört. Um 6:50 Uhr werden wir schließlich hineingelassen und sprinten zu Fuß nach vorne zur Startlinie. Das könnte man sich bei so manchem Lauf in Mitteleuropa gerne zum Beispiel nehmen.
Schließlich werden wir nach einer Live-Performance der US-Nationalhymne um 7:00 Uhr auf die Strecke geschickt. Ohne großes Gedränge sortiert sich das Feld und ich versuche meinen Rhythmus zu finden. Das gelingt mir zu Beginn nur bedingt. Es hat -12 Grad und meine Glieder sind etwas schwergängig. Trotzdem sortiere ich mich circa an 100. Stelle ein und versuche, das hohe Tempo mitzugehen. Die Sonne strahlt schon durch die Bäume und über die Wiesen, durch die sich die Runde schlängelt. Bereits zu dieser frühen Stunde sind schon zahlreiche Zuschauer an der Strecke und feuern uns frenetisch an. So ist die erste Runde schnell vorbei und ich bin in einer kleinen Gruppe zurück im Stadion gelandet. In der zweiten Runde gelingt es mir dann endlich, etwas besser auf dem Ski zu stehen. So machen dann auch die Anstiege, Abfahrten und Kurven deutlich mehr Spaß. Insbesondere in den langgezogenen Abschnitten kann ich immer wieder Plätze gut machen, verliere sie dann aber in den kurzen Rampen und kurvenreichen „Downhills“ wieder. So bleibe ich eher konstant um Rang 110 platziert. Zwei Verpflegungsstationen gibt es auf dem Rundkurs, die Getränke, Gels und mehr bieten. Ich verlasse mich allerdings auf meinen Trinkgurt und mein eigenes Gel.
In der dritten Runde hat sich das Feld dann sortiert. Ich laufe meist mit denselben Läufern um mich herum, bis bei Kilometer 26 ein schnellerer Läufer von hinten kommt. Diesem folge ich im 1-1er und weiter in Richtung des letzten Anstiegs. Dort werde ich allerdings von meinen Verfolgern wieder eingeholt und muss zwei von ihnen vorbeilassen. Es folgt die letzte Abfahrt mit einer 90 Grad Kurve die ich etwas zu vorsichtig anfahre und schon ist eine Lücke da. Durch einen kurzen Tunnel geht es auf die Zielgerade. Ich beschleunige noch einmal und kann den ersten meiner Konkurrenten überholen. Auch der Zweite kommt immer näher, was aber auch für die Ziellinie gilt. Im letzten Moment schaffe ich es, meinen Fuß zuerst über die Linie zu schieben. Wir grinsen beide und klatschen uns ab. Platz 110 im Teilnehmerfeld der Hobbyläufer steht schließlich für mich zu Buche und ich nehme überglücklich meine Finisher-Medaille entgegen.
Nach einer schnellen Dusche bei Freunden meiner Gastgeber in der Nähe des Stadions und der obligatorischen Zielverpflegung im großen Essenszelt stehe ich dann wenig später an der Strecke, um die Siege der Lokalmatadoren Jessie Diggins und Gus Schumacher mit der Kamera zu verfolgen. Die Siegerehrung wird verbunden mit der Jubiläumsfeier zum 50. Birkie, bei der unter anderem Olympiasiegerin Kikkan Randall, der 50-malige Teilnehmer Ernie St. Germaine und weitere wichtige Personen auf dem Podium stehen. Tausende Zuschauer bejubeln sie alle, nicht nur die Sieger, die wenig später ihre Preise in Empfang nehmen. Für Christian und mich endet der Tag schließlich mit Rouladen und Knödel, die unsere Gastgeberin extra für uns nach deutschem Rezept zubereitet.
Am Sonntag mache ich mich bereits frühmorgens auf den Heimweg und während Christian sich Rang zwei im Klassik-Rennen erkämpft, habe ich noch eine ganz besondere Station eingeplant. Nur 20 Minuten vom Flughafen in Minneapolis entfernt befindet sich mitten in der Stadt der Theodore Wirth Park. Dort wurde vor einer Woche der Langlauf Weltcup ausgetragen. Die fünf Kilometer Kunstschneerunde ist ein einmaliges Erlebnis. Sie wurde nicht speziell für den Weltcup angelegt, sondern steht jeden Winter den Langläufern der Stadt und aus der Umgebung zur Verfügung. So fördert man eine Sportart!
Am Flughafen treffe ich schließlich überraschenderweise Jessie Diggins. Sie fliegt wie ich zurück nach Europa, wo der nächste Weltcup ansteht. Für mich endet damit eine unvergessliche Reise in die USA, die mir eindrucksvoll gezeigt hat, wie groß die Begeisterung zwischen Minneapolis und Hayward für den Skilanglauf ist. Ich kann nur jedem empfehlen, mindestens einmal beim American Birkebeiner am Start zu stehen. Es lohnt sich nicht nur aus sportlicher Sicht!