Von Stefan Prinz
Sonntagabend nach Einbruch der Dunkelheit, irgendwo in Rumänien.
Verfolgt er mich noch? Einfach nicht aufhören. Einfach nicht umschauen. Nicht schon wieder Geschwindigkeit verlieren. Ich muss hier weiter. Blut klebt an meinen Stockspitzen. Ach ja, blute ich eigentlich? Keine Ahnung. Einfach nach vorne schauen. Ein Stockeinsatz nach dem anderen. Ich zucke zusammen. Horror-Moment. Da fehlt einfach… Was zur Hölle? Da fehlt einfach der Kanaldeckel. Ausweichmanöver. Und da zieht es schon wieder in meinen Fuß hinein. Nicht schon wieder. Bitte nicht. Ich kenne den Schmerz doch von irgendwoher. Wieso mache ich das hier nur? Ich will nach Hause.
Okay, fangen wir mal von ganz vorne an. Ganz vorne. Mein Plan lautet: Auf Cross-Rollern Europa durchqueren. Die Etappe von Deutschland an den Atlantik ist ebenso abgehakt wie die von Deutschland nach Budapest. Nun folgt die finale Etappe auf dem Weg ans Schwarze Meer. Die Straße ruft. Auf geht’s!
Deutschland – entlang der jungen Donau
Jedoch soll die zuvor zurückgelegte Strecke von Deutschland nach Budapest nicht unerwähnt bleiben. So starte ich zunächst an der Donauquelle in Donaueschingen und rolle entlang der Donau flussabwärts. Dabei folge ich dem Donauradweg, der auf den ersten Kilometern bis Wien gut beschildert ist. Über meinen Studienort Tuttlingen und das idyllische Donautal geht es nach Ulm, während sich die Donau von einem kleinen Bach zu einem immer breiter werdenden Fluss entwickelt. Über Donauwörth, Ingolstadt, Kloster Weltenburg und den Donaudurchbruch gelange ich nach Kelheim. Hier verlaufen viele Schotterwege direkt neben der Donau und sind selbst auf Cross-Rollern manchmal nur mit Mühe zu bewältigen. Eigentlich müsste ich den Städten unterwegs mehr Aufmerksamkeit schenken und mehr Sightseeing-Stops einlegen, jedoch bleibt bei meinem Tagespensum hierfür nicht viel Zeit. Und so rolle ich weiter und fahre durch Regensburg hindurch, bevor es auf dem Weg nach Deggendorf stark zu regnen beginnt. Gewitter und Hagel kommen dazu. Ich bin vollkommen durchnässt und finde in einer einsamen Bushaltestelle einen Unterstand. Obwohl in meinen Schuhen das Wasser steht, lasse ich mich nicht aufhalten und erreiche schon bald die Dreiflüssestadt Passau. Es geht auf die deutsch-österreichische Grenze zu. Soweit komme ich gut durch, mal abgesehen von einem platten Reifen unterwegs.
Tour-Empfehlung: Der Donauradweg von Passau nach Wien
Oft werde ich gefragt, welche Etappenstücke ich denn für eine kleine Skirollertour empfehlen könnte. Auf meiner Tour präsentiert sich besonders die Etappe zwischen Passau und Wien als wunderbar zu rollende Strecke. Diese ist circa 320 Kilometer lang, durchgehend asphaltiert, flach und nahezu autofrei. Über wirklich idyllische Landschaften geht es für mich hierbei durch die Schlögener Schlinge, dann über die Großstadt Linz und das Stift Melk in die Wachau. Unterwegs treffe ich sogar Sportler auf Rollski und lege ein paar Kilometer mit ihnen gemeinsam zurück. Auch wenn ich aufgrund des größeren Gesamtprojektes der Europadurchquerung auf Cross-Rollern unterwegs bin, kann der Abschnitt zwischen Passau und Wien fast durchgehend mit normalen Trainingsrollern befahren werden. Jedoch sollte die große Anzahl an Radausflüglern bedacht werden, sodass man eine Mehrtagestour unbedingt außerhalb der Hauptreisezeit unternehmen sollte. Ansonsten macht es keinen Spaß und fühlt sich schlimmer an als Überholmanöver beim Massenstart eines Langlaufrennens. Nach der Passage durch die Wachau rolle ich über Krems und Tulln an den Stadtrand von Wien. Von dort aus nehme ich anstelle der ruhigen Donauinsel den Abzweig in die Innenstadt der Kulturmetropole, was nochmal konzentriertes Skirollern im Straßenverkehr erfordert – aber durch die Hofburg zu rollern ist für mich ein absolutes Muss.
Über slowakische Staudämme nach Ungarn
Ich rolle an den restlichen Touristenhotspots vorbei, verlasse Wien durch den Prater und bin bald schon auf slowakischem Gebiet. Waren die Wege im vorherigen österreichischem Nationalpark noch wunderbar asphaltiert, so sind sie nach dem Grenzübertritt nun schlagartig holprig. Auf schlechten Betonwegen geht es entlang an alten Grenzzäunen und Bunkern bis in die Hauptstadt Bratislava hinein. Dahinter warten einige monotone Kilometer und Stunden entlang eines riesigen Donau-Staudamms. Gefühlt bin ich echt am Suezkanal. Der Gegenwind und die heißen Temperaturen lassen meine Kräfte ordentlich schwinden. Ich muss mich durchbeißen, es läuft zäh, und so quäle ich mich über schlechte Schotter- und Sandwege nach Komarno. Hier steht schon der nächste Grenzübertritt nach Ungarn an – aber nur ein kleines Wappen verrät mir, dass ich nun in Ungarn sein muss. Land Nummer sechs also. Nachdem ich mich nachts im Zelt mit den Basics der neuen Sprache vertraut gemacht habe, geht es am nächsten Morgen über Esztergom ins Donauknie. Es regnet wie aus Kübeln, ich friere, und das wird auch nicht besser, wenn man draußen im Regen eine Stunde lang auf eine Fähre wartet. Ach ja, und ich dachte, Autos hätten wenigstens ein Licht an, wenn sie bei Nebel unterwegs sind? Nebenbei muss ich spontan die Route umplanen, nachdem Uferstraßen überflutet sind. Fast wäre ich nach einer Schussfahrt auch noch in der Donau gelandet, aber das ist eine andere Geschichte.
Großstädte – eine richtige Herausforderung auf Skirollertouren
Ich rolle in Budapest ein. Die ungarische Hauptstadt stellt das Ende der Etappe von Deutschland nach Budapest dar. Zugleich ist sie der Startpunkt für die finalen Wochen durch Osteuropa in Richtung Schwarzes Meer. Auch wenn Budapest als Stadt kulturell reizvoll ist, bietet sie für Skirollerfahrende absolutes Krankenhaus-Potential, da auf engstem Raum extrem viele Gefahren lauern. Ich bin froh, nach ein bisschen Sightseeing die Stadt hinter mir zu lassen. Mit der Ausfahrt aus der Hauptstadt muss ich mich nun jedoch auf komplett neue Wegverhältnisse einstellen: Der bis Wien noch gut ausgebaute Donauradweg war zwar bis Budapest noch in Ansätzen vorhanden, existiert aber nun vermutlich nur noch in Wikipedia. So muss ich mir nun meine eigenen Wege suchen, und lasse mich mit Komoot im Hintergrund navigieren. Der Straßenzustand ist katastrophal: Löcher im Asphalt gehören genauso dazu wie plötzliche Höhenunterschiede auf der Straße oder loser Schotter. Trotzdem kann ich im Moment meine Durchschnittspace von unter 4 min/km (über 16 km/h) halten, bei Tagesdistanzen von 100 bis 120 Kilometern. Mal schauen, wie das nun so weitergeht. Bei diesen Wegzuständen kann ich die Kilometer vielleicht nicht mehr ganz so leicht abspulen.