Von Stefan Prinz
Teil 1 lest ihr hier: Auf Skirollern durch Europa: Mittel- und Osteuropa Teil 1
Die Ausfahrt aus Belgrad war nicht gerade lustig. Beim Überqueren der Donaubrücke rolle ich neben der zweispurigen Hauptstraße über einen wirklich schlechten Gehweg. Dabei muss ich extrem aufpassen, dass ich nicht in einem der vielen großen Löcher hängen bleibe und stürze. Ein paar Meter danach solle ich dann einfach auf der Autobahn weiterfahren, so die Empfehlung der örtlichen Behörden. Denn als Variante existiert nur ein matschiger Sandweg, der wegen heftiger Regenfälle in der vergangenen Nacht unpassierbar sei. Okay, dann fahre ich eben auf die Autobahn. Echt jetzt? Ja. Anfangs gibt es noch einen Standstreifen, doch später bleibt mir nur noch der Rand der rechten Spur. Aber erstaunlicherweise nehmen die Autofahrer alle sehr viel Rücksicht. Später zweige ich auf eine Bundesstraße ab, der ich nun für den restlichen Tag folgen werde. Zu meiner Freude werde ich nun wieder von Anke, Jana und Linus auf dem Rad begleitet. Allmählich entsteht zwischen uns eine wunderbare Freundschaft. Es fängt zu regnen an, und wir sind ganz froh, kurz vor Eintreten der Dunkelheit einen Unterschlupf im Hinterhof einer orthodoxen Kirche gefunden zu haben. Ich finde sogar noch einen Wasserhahn im Dorf, unter dem ich mich abduschen kann. Wenn das kein Zelter-Luxus ist!
Im Regenschauer durch das Eiserne Tor
Der weitere Weg führt uns in der Gruppe durch das Eiserne Tor – ein wirklich imposantes Durchbruchstal der Donau, die sich ihren Weg durch das Balkan- und Karpatengebirge sucht. Auf der Bundesstraße – der einzigen Straße weit und breit – geht es durch die längste und größte Schlucht Europas. Auf uns warten über 20 unbeleuchtete Tunnel, die bis zu 400 Meter lang sind. Der Adrenalinkick ist hier bei totaler Finsternis mit Autoverkehr von vorne und hinten definitiv gegeben. Und auch die 3000 Höhenmeter in diesem nur 100 Kilometer langen Abschnitt setzen mir ordentlich zu. Und Spaß macht das auch nur begrenzt – bei Dauerregen und nasser Straße mit 60 Sachen bergab. Schließlich kann man nie wissen, wann das nächste Loch im Asphalt kommt. Aber nichtsdestotrotz ist die Aussicht einmalig und der Streckenabschnitt bislang das absolute Highlight der Europatour.
Von Gastfreundschaft und Hundeattacken
Mal wieder wird es Abend, und die Suche nach einem Platz zum Wildzelten beginnt. Einheimische laden auf ein spätabendliches Bier ein und bringen sogar Frühstück ans Zelt. Da kann man doch über die vielen Stechmücken und das Bad in der dreckigen Donau hinweg sehen. So vergehen die Kilometer. Inzwischen habe ich auch den Anschluss an Anke, Jana und Linus verloren, die nun irgendwo anders unterwegs sind. Aber trotzdem bin ich nicht alleine, und werde oft zu Abendessen und Frühstück eingeladen. Ich bin ein bisschen traurig, schon bald Serbien verlassen zu müssen, so sehr habe ich die gastfreundlichen Serben zu schätzen und lieben gelernt. Aber nun geht es eben hinüber nach Bulgarien. Zurück in der EU – das fühlt sich irgendwie doch gleichzeitig gut an. Nach Smalltalk mit dem supernetten Grenzpolizisten lege ich einige Kilometer auf sehr einsamen Landstraßen zurück. Das Landschaftsbild wird nun geprägt von Pferdekutschen auf der Straße und riesigen Müllbergen am Straßenrand, gleich neben Kadavern und lebendigen Straßenhunden. Während diese eher aus Angst vor mir wegrennen, bereiten mir vor allem die Hof- und Wachhunde Probleme. Nicht selten ist ein Tor offen, oder ein Loch im Zaun, sodass die bellenden Hunde auf die Straße gelangen und mich mit aggressivem Verhalten teilweise durch ganze Dörfer jagen. Manchmal habe ich wirkliche Angst, jedoch kann ich die Hunde mit Stöcken und notfalls mit Pfefferspray gut auf Abstand halten.
Bulgarien und Rumänien – eine Zeitreise in die Vergangenheit
Mit dem Grenzübertritt nach Bulgarien trat ich eine Zeitreise in die Vergangenheit an. Ich kann das Jahr 2022 nicht mehr wiedererkennen. Die Dörfer am Wegesrand sind in der Entwicklung zurückgeblieben und von Armut geprägt. So werde ich bei meinen vielen Begegnungen und Essenseinladungen mit Lebensverhältnissen konfrontiert, die ich in Europa niemals vermutet hätte. Ich wache wie in einer neuen Welt auf. Die Menschen wohnen oft nur in ärmlichen Holzhütten, zum Trinken gibt es lediglich abgestandenes Wasser aus einem großen Brunnen, zum Essen gibt es Hasen und Hühner aus dem Garten, und an fließendes Wasser im Haus ist erst gar nicht zu denken. Toiletten existieren vielerorts nicht und wenn überhaupt, als Trockentoilette im Garten. Auch wenn in größeren Städten die Situation normaler aussieht, zeigen vor allem die Dörfer traurige Lebensbedingungen. Nach dem schon bald anstehenden Grenzübertritt nach Rumänien mit langem Warten auf der fünften Spur der Grenzkontrollstation passt es für mich absolut nicht ins Bild, einen LIDL mit WLAN, Kartenbezahlung und Toiletten aufzufinden. Und das gleich neben einer der größten Kleiderfabriken Rumäniens, in der Näherinnen für wirkliche Hungerlöhne arbeiten – unter fragwürdigen ökologischen und sozialen Bedingungen.
Ab in die Walachei – die Gastfreundschaft nimmt kein Ende
Ich rolle durch die Walachei, und habe nun schon seit einer Woche die Donau nicht mehr gesehen. Es geht einfach nur noch auf der Landstraße geradeaus. In den kleinen Dörfern entlang des Weges sitzen überwiegend ältere Einwohner vor ihren Gartentoren auf Sitzbänken und winken mir zu. Kleine Kinder stehen am Straßenrand, feuern mich an und strecken die Hand zum Abklatschen raus. Dabei werde ich unzählige Male herbei gewunken und zum Essen eingeladen. Obwohl diese Menschen hier rein gar nichts besitzen und in spürbarer Armut leben, sind sie unglaublich gastfreundlich und bieten mir einfach alles an. Nach dem Essen folgt immer prompt die Einladung zum Nächtigen. Von Ehebetten, über Hütten, Gärten und Reisebusse werden mir allerhand Übernachtungsmöglichkeiten angeboten, sodass ich mir die mühevolle Suche nach einem Zeltplatz oftmals ersparen kann. Stattdessen verbringe ich den Abend mit den Einheimischen, lerne die Landessprache und genieße eine Gastfreundschaft, wie ich sie noch nie erlebt habe. Es ist ein völliger Kontrast zu den vielen Stimmen, die mich vor Soloreisen, Überfällen und böswilligen Menschen in diesen Gegenden gewarnt haben. Ich breche fast in Tränen aus, als ein kleines rumänisches Mädchen, einer meiner größten Fans, mir ihr geliebtes Spielzeug schenken will, da ich ja keines dabei hätte. Ich lehne dankend ab, doch letzten Endes hat sie es in meinen Rucksack gepackt. Wow, diese Menschen sind einfach nur wahnsinnig herzlich.
Nicht alle Hunde sind freundlich
Es ist nahezu stockdunkel, als ich irgendwo durch die rumänische Pampa rolle. Ich brauche nur noch einen geeigneten Platz zum Zelten… Es herrscht Totenstille, bis auf die leichte Brise von vorne. Als ich an einem Industriekomplex vorbeifahre, rennen wieder einmal drei Wachhunde am Zaun innen entlang. Was ich nicht wusste: Da ist ein Loch im Zaun. Sie rennen auf die Straße und verfolgen mich. Nach vielen Hundebegegnungen spüre ich, dass sie mehr als nur verteidigen wollen. In maximalem Tempo versuche ich den Hunden zu entkommen, aber ohne Chance. Der erste Hund stellt sich vor mich, und der zweite beißt seitlich in meinen Stock. Ich will gerade mein Pfefferspray herausholen, da beißt mich der dritte in meinen Schuh. Ich will hier einfach nur noch weg! Man! Ich bekomme richtig Angst, und steche auf einen der Hunde ein. Sorry, aber das ist absolute Notwehr. Es wirkt. Ich brülle sie an, und dann gebe ich Gas. Aber so wirklich. Ich entkomme. Fast wäre ich noch in die Kanalisation gestürzt, da der Gullideckel fehlte. Zur Erinnerung: Es ist stockdunkel. Es wird endlich Zeit, dass ich mein Zelt aufschlage. Wenigstens eine gute Nachricht gibt es: Der Hund hat nicht durch den Schuh hindurchgebissen.