Steffi Böhler hat es im Interview nach dem Abschluss der Tour de Ski so ausgedrückt: 365 Tage reichen, um den Schmerz zu vergessen und das Rennen hinauf zur Alpe Cermis wieder in Angriff zu nehmen. Bei mir hat es etwas länger gedauert.
Ganze vier Jahre nach meiner letzten Teilnahme an der Rampa con i campioni, dem Jedermannrennen auf der Originalstrecke der Schlussetappe der Tour de Ski, habe ich mich kurzfristig für einen Start bei der inzwischen achten Austragung entschieden. Die Vorbereitung war alles andere als optimal, aber das kennt ihr ja inzwischen von mir. Im Team der ARD war ich vor Silvester zum Start der Tour in Lenzerheide und bin ihr dann von Oberstdorf ins Val di Fiemme gefolgt. Mehr als eine Stunde Langlaufen vor oder kurz nach dem Frühstück war da nicht drin. So bin ich dann schon etwas nervös am Tag vor dem Rennen und frage mich, ob ich wohl an meine Zeit von 2014 herankomme. Die Strecke verspricht in perfektem Zustand zu sein, denn nachts sinkt das Thermometer auf null Grad.
Da ich keine Wachsausrüstung dabei habe, bitte ich das Holmenkol Weltcup-Serviceteam mit Sebastian und Marco mir doch ein konkurrenzfähiges Brett herzurichten. Ich sollte nicht enttäuscht werden. Eine Stunde vor dem Start hole ich mir meine Ski wieder ab. Da haben die beiden schon alle Hände voll zu tun, soll doch in Kürze der Wachstipp des Tages bei den Serviceleuten der Nationalteams sein. Ich mache mich dann auf in Richtung Start, wo ich mich etwas warmlaufe. Zu viel will ich den Ski dann auch nicht bewegen, er hat ja noch neun harte Kilometer vor sich. 😉 Im Startgelände treffe ich dann auch Jeff Ellis. Der kanadische Ehemann von Kikkan Randall ist für die FIS im Media-Bereich tätig und hat heute wie ich selbst auch Freigang bekommen. Unser letztes Duell liegt schon ein paar Jahre zurück. Damals musste er auf Grönland das Arctic Circle Race vorzeitig beenden. Heute ist das weder für ihn noch für mich eine Option.
Ich stelle mich in die zweite Reihe des Starterfeldes. Für ganz vorne fehlen mir definitiv einige Trainingskilometer und wenn ich mich so umsehe, dann bin ich auch hier in sehr guter Gesellschaft. Fünf Minuten vor dem Start ruft mir dann plötzlich ein Mann vom Organisationsteam fragend „Transponder?“ zu. Da fällt mir zu meinem Schreck ein, dass ich die ja noch gar nicht abgeholt habe. Schnell laufe ich zurück zum Eingang und lasse sie mir anlegen. Ich bin jedenfalls so kurz vor dem Start nicht allein und merke, dass der Weltcup Vorstart-Ablauf auch für andere ungewohnt ist. Rechtzeitig stehe ich zurück im Startfeld und habe nun auch das nötige Adrenalin im Blut.
Nur wenige Sekunden nach der Ansage „One Minute“ fällt der Startschuss. Da haben die Italiener wieder den alten Trick angewandt, um einen Frühstart zu verhindern. Ruckartig setzt sich die erste Reihe in Bewegung und unsere Reihe zieht nach. Ich bin allerdings etwas zu verhalten unterwegs und schiebe lange Doppelstock während meine Nachbarn bereits skaten. Dadurch falle ich erstmal zurück. Mitten im ersten Anstieg, der sich noch im WM-Stadion von Lago di Tesero befindet, sehe ich auf einmal Jürg Capol vor mir. Der ehemalige FIS-Renndirektor und Erfinder der Tour de Ski läuft jedes Jahr bei der Rampa mit und ist ein gutes Zugpferd. Deshalb versuche ich sofort an ihm dran zu bleiben. Das gelingt mir gerade so bis über den zweiten Anstieg und den Ausgang aus dem Stadionbereich. Dann entschwindet er mit einer Gruppe und ich muss mein Tempo etwas drosseln. Jürg wird sich schließlich mit seinem FIS-Kollegen Jeff einen harten Kampf liefern und deutlich vor mir im Ziel ankommen.
Ich laufe zügig weiter, so schnell es meine Kondition und Technik eben hergeben. Schließlich, so denke ich mir, kann ich jede unverbrauchte Sekunde am Anstieg gut gebrauchen. Wie ich später an den Zwischenzeiten sehe, habe ich mich auf dem eher flachen Anfangsabschnitt auch ganz ordentlich gehalten. Dann geht es allerdings an der Talstation der Alpe Cermis in den steilen Schlussanstieg über die Olympia-3 Piste hinauf zur Mittelstation, wo sich das Ziel befindet. 420 Höhenmeter verteilt auf lediglich drei Kilometer, das gibt es sonst kein zweites Mal in einem Langlauf-Wettkampf. Ich versuche von Beginn an meinen eigenen Rhythmus zu finden und auch auf den steileren Abschnitten durchzuziehen. Das ist mir 2014 eigentlich ganz gut gelungen. Es gibt aber 2018 einen entscheidenden Unterschied. Es sind fast doppelt so viele Teilnehmer (nämlich 200) am Start als vier Jahre zuvor. Dadurch befinde ich mich in einem ständigen Zwang das Tempo meiner Gegner aufzunehmen. Überholt mich nämlich einer, wird er meist vor mir langsamer und bremst mich dadurch aus. Versuche ich dagegen zu halten, verbrauche ich deutlich mehr Körner, als gewollt. Insbesondere in den beiden steilen Rampen mit bis zu 28% Steigung fühle ich mich deutlich langsamer als bei meiner ersten Teilnahme und muss meist ins Diagonalskating (den sogenannten Trainerschritt) übergehen. Zwischendurch zweifle ich daran, dass ich es auch nur annähernd in den Bereich meiner Bestzeit schaffe. Dann kommt jedoch die 1,5 Kilometer Marke früher als gedacht und ich höre den Stadionsprecher im Ziel, der die Zeit meines ARD-Teamkollegen Peter Schlickenrieder durchsagt. Schlicki hat sich auf Rang zehn ins Ziel gekämpft (Respekt!) und meine Bestmarke ist auch noch in Reichweite. Das setzt noch einmal Energiereserven frei.
Als ich den flacheren Abschnitt 800 Meter vor dem Ziel erreiche, beginne ich meinen Endspurt. Ich schaffe es sogar, noch ein paar Schritte im 1-1er zurückzulegen und ziehe an drei Konkurrenten vorbei. Dann ist es endlich geschafft und ich lasse mich im Ziel auf meine Stöcke fallen. Es dauert ein, zwei Minuten bis ich wieder einigermaßen normal atmen kann. Schlicki macht bereits sichtlich erholt Erinnerungsfotos mit Bekannten und Fans. Ich schaue auf meine GPS-Uhr und stelle fest, dass es um einige Sekunden nicht zu einem neuen Bestwert gereicht hat. Aber das ist mir in diesem Moment total egal. Es überwiegt einfach die Freude, diese Herausforderung ein weiteres Mal gemeistert zu haben. Wenige Minuten nach mir erreicht Armin, ein Challenger unseres xc-ski.de A|N Skimarathon Teams das Ziel. Voller Stolz teilt er mir mit, dass er sich im Vergleich zum Vorjahr um zehn Minuten verbessert hat. Ich gratuliere ihm und denke mir nur insgeheim: Die Einschläge kommen näher! 😉 Viel Zeit zum Feiern bleibt aber nicht. Mein Job ruft und wenige Minuten später sitze ich im Übertragungswagen der ARD, in dem wir die Zusammenfassung der Rennen der Elite vorbereiten.
Kurz zucke ich noch einmal zusammen als Steffi Böhler besagte 365 Tage erwähnt. Innerlich stelle ich schon mal das Verfallsdatum für meine Erinnerung auf 363 Tage. Etwas Reserve muss schon sein, wenn ich mich noch rechtzeitig für die Rampa anmelden will.
Hier findet ihr noch einen Videomitschnitt vom kompletten Rennen: Rampa con i campioni 2018