Mein einziger Gedanke: so lange wie möglich am Zug der Skandinavier bleiben! Jeder Schub zählt auf dem Weg dem Ziel entgegen. Sechs Stunden sind vorbei und an einem Anstieg hinter Kilometer 140 geht plötzlich nichts mehr. Die Kraft ist wie weggeblasen! Ich schaue noch vorne und glaube mich selbst dabei zu beobachten wie sich der Abstand langsam aber konstant vergrößert. Doch das Gaspedal lässt sich nur noch zur Hälfte durchdrücken. Noch gut 55 Kilometer bis ins Ziel und ich bin auf mich alleine gestellt! Mir fällt der Zuruf eines schlauen Trainers wieder ein: „you make your own luck“, und genau darauf kommt es jetzt an. Ich versuche meinen Rhythmus zu finden, ökonomisch zu schieben und Frequenzwechsel einzubauen um den Kampf gegen die Gleichgültigkeit zu gewinnen. So oder so ähnlich müssen sich Extrembergsteiger fühlen! Drei Viertel des Rennens sind rum, doch das Abenteuer hat gerade erst begonnen.
Das Feld ist hier nach einer Attacke des Teams Santander sortiert: vorne weg vier Mann inklusive der Auklands und Dahl, dahinter lose aufgereiht die Verfolger. Thomas hat sieben Minuten Rückstand und liegt auf Platz acht, was sich im großen und ganzen so bis ins Ziel nicht mehr ändern sollte. Christoph sehen wir tatsächlich erst im Ziel wieder, eineindreiviertel Stunden nach Thomas. John Kristian Dahl hatte da schon bewiesen, dass er der beste Sprinter unter den Langdistanz-Athleten ist. Im Zielsprint lässt er Anders Aukland und Øyvind Moen Fjeld mehr oder weniger stehen und erreicht das Ziel nach 8:35 Stunden. Eine Zeit, die so wohl nur die wenigsten erwartet hatten. Thomas braucht für die 200 Kilometer gut acht Minuten länger, was, angesichts der schwierigen Verhältnisse für so ein kleines Team durchaus als sensationell bezeichnet werden darf. Wieder einmal kann er als einziger Deutscher der versammelten Weltspitze Paroli bieten.
Für viele andere beginnt da das Rennen erst anstrengend zu werden. Wieder steht die Sonne hoch am Himmel, nachmittags in Lappland. Der Schnee weicht auf und es wird zäh, das Rennen mit jeder Minute etwas härter. Während wir schließlich um sechs Uhr beim Essen sitzen sehen wir vor dem Fenster in schöner Regelmäßigkeit Läufer mit letzten Kräften an uns vorbei ziehen, auf den finalen 500 Metern dem Ziel entgegen. Ein großer Teil wird erst nachts das Ziel erreichen, der letzte um fünf Uhr morgens, nach über 23 Stunden auf der Strecke. Zu der Zeit sind wir nur noch damit beschäftigt unser Schlaf-Defizit der letzten Tage etwas abzubauen und uns für die Heimreise vorzubereiten: mit dem Auto nach Kiruna und in zwei Etappen über Stockholm heim nach München. Es ist merklich Frühling bei unserer Rückkehr, die Saison hat mit einer unglaublichen Leistung ihr Ende gefunden. Was bleibt ist die Erfahrung dabei gewesen zu sein beim ersten Rennen „beyond Vasaloppet“, also jenseits dessen, was bisher als Maßstab für Langstreckenrennen im Langlaufsport galt. Sicherlich sind die großen Rennen der Ski Classics Serie noch ein gutes Stück besser besetzt, nicht bezüglich der Spitzenleistung, wohl aber was die Menge an Top-Athleten anbelangt. Doch dieser Lauf im Norden Schwedens verschiebt die Relation dessen, was Langläufer imstande sind zu leisten. Wer hätte es vor kurzem noch zu versuchen gewagt, mehr als die doppelte Vasaloppet-Distanz an einem Tag zu schaffen? So gesehen bleibt der Nordenskiöldsloppet das was er immer war: ein Beweis der eigenen Leistungsfähigkeit.
Ein Video mit Impressionen vom Rennen: Highlights Red Bull Nordenskiöldsloppet 2016