Eines haben Radfahrer uns Langläufern voraus: Ihr Sportgerät bietet deutlich mehr Potential zur Feinabstimmung, zum Tuning und zu so mancher technischer Spielerei. Doch findet man sich als Wintersportler, der das Rad im Sommer als Trainingsgerät nutzen will, in diesem Dschungel an Möglichkeiten zurecht? Wir haben uns auf die Suche begeben.
Die eierlegende Wollmilchsau
Eigentlich bräuchte man einen eigenen Keller für all die Räder! Ein Enduro-Mountainbike, ein Hardtail, ein Race-Fully, ein Touren-Fully dazu ein Crosser, ein Graveler, ein Rennrad und eventuell noch ein Cruiser für den Feierabendausflug zum Biergarten. Da kommt ganz schön was zusammen, wenn man wirklich für jeden Einsatzzweck gerüstet sein will. Als Langläufer nutzt man das Rad allerdings eher als Konditionstrainingsmittel, was die zuvor genannte Auflistung schon mal etwas verkürzt. Und da die finanziellen Mittel kein unerhebliches Kaufkriterium darstellen, habe ich es mir zum Ziel gesetzt, mit zwei Rädern alle Einsatzzwecke bestmöglich abzudecken. Mein leichtes Race-Fully ersetzt Hardtail und Touren-Fully, ist also meine Allzweckwaffe im Gelände. Doch wie lassen sich die übrigen Einsatzzwecke unter einen Hut bringen? Schließlich würde niemand mit Rennradreifen auf Schotterpisten herumheizen. Doch dann spielt mir der Zufall in die Karten! Die Jungs von Bike-Innovations in Lampertheim veröffentlichen auf ihrem Facebook-Kanal eine Bilderserie eines Carbon Gravel Bikes der Marke Conway, das sie zu einem reinen Straßenrennrad umgebaut haben. Ein Bekannter hat auf „Gefällt mir“ geklickt und so bekomme auch ich das Projekt zu Gesicht. Ich bin sofort begeistert, insbesondere von der Idee, das Rad mit einem zweiten Satz Laufräder auch abseits von Asphaltstrecken nutzen zu können. Mein ganz eigenes Projekt beginnt genau hier an dieser Stelle.
Komponenten, neuester Stand
Das Schönste und Aufregendste an der Konfiguration eines individuell zusammengestellten Rennrads ist ganz klar die Auswahl der Komponenten. Eigentlich muss es ja nicht immer das Neueste vom Neuesten oder Beste vom Besten sein. Das geht nämlich schnell zu Lasten des Geldbeutels. Aber dafür überspringe ich auch mal ein, zwei Generationen an Anbauteilen. Mit der Etablierung von Scheibenbremsen an Rennrädern, der Entwicklung von elektronischen Schaltungen und dem „Erschwinglich-Werden“ von Watt-Leistungsmesskurbeln hat sich aber in den letzten Jahren einiges getan und genau diese Innovationen sollen nun an mein neues Rad. Scheibenbremsen bieten eine deutlich bessere Bremswirkung auch bei Nässe, als herkömmliche Felgenbremsen. Elektronische Schaltungen sparen sich die altgedienten Schaltzüge, die gerne einmal schwergängig werden. Und die Watt-Leistungsmessung ist noch immer die beste Überprüfungsmöglichkeit, was man selbst zu leisten im Stande ist. Schnell steht fest, die SRAM eTap Gruppe inklusive Scheibenbremsen und Quarq-Leistungsmesser soll es sein. Gespart wird dagegen etwas beim Laufradsatz 3T Discus C35 Team, den mir die Jungs von Bike-Innovations als Vorführmodell verkaufen. Dazu kommen noch Sattelstütze, Vorbau und Lenker von Zipp, sowie mein alter Bontrager-Sattel, den ich aufgrund des perfekten Sitzes auch weiterhin fahren werde. Ich kann es kaum erwarten, das Rad so ausgestattet in Empfang zu nehmen.
Vom nackten Rahmen zur ersten Testfahrt
Es hat dann doch etwas länger gedauert als gedacht, bis alles bereit war für den Aufbau meines Radprojekts bei Bike-Innovations. Das lag unter anderem an Lieferzeiträumen, die ich so von der Skiindustrie nicht kenne. Aber Warten steigert bekanntlich die Vorfreude und in der letzten Aprilwoche war es dann soweit. Ich machte mich auf den Weg nach Lampertheim, südlich von Frankfurt, um meinen neuen Trainingsbegleiter abzuholen. Erst früh am Morgen hatte Matthias, einer der beiden Eigentümer von Bike-Innovations, das Conway GRV1200 im Lager des Herstellers abgeholt. Nun steht Bertl, sein Kompagnon, in der Werkstatt und hat alle Hände voll zu tun. Zunächst muss er das Rad komplett auseinandernehmen, um dann die neuen Komponenten anzubringen. Er lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen und schafft es tatsächlich an einem Vormittag. Ich bin live dabei, als der Rahmen komplett leer am Montageständer hängt, sich die Kurbel das erste Mal dreht und das Öl in die Hydraulik der Bremse läuft. Dann ist es bereit für eine erste Testfahrt. Ich nehme mir eine knappe Stunde Zeit, um auf Nebenstraßen ausgiebig alle Funktionen durchzutesten. Noch ist die Geometrie etwas ungewohnt, nachdem ich zuvor nur auf reinrassigen Rennmaschinen gesessen habe. Aber schnell wird mir klar, dass ich genau die richtige Wahl getroffen habe. Gerade einmal vier Stunden nach meiner Ankunft muss ich los. Der Langlaufski-Test ruft und ich habe noch eine lange Autofahrt vor mir. Im Gepäck mit dabei: Mein neuer Renner!
Auf der Straße unterwegs
Ich gestehe, ich war etwas abgelenkt während des Skitests und musste immer wieder an mein neues Rad denken. 😉 Vor unserer Unterkunft in Ramsau am Dachstein beginne ich nachmittags dann auch mit der Feinjustierung des Sattels. Für die erste längere Ausfahrt ist aber erst Zeit, als ich wieder zurück in der Heimat bin. Noch schleift die Scheibenbremse etwas, aber das ist normal bei fabrikneuen Modellen. Alles andere läuft bereits rund und ich fühle mich deutlich komfortabler unterwegs. Das Gefühl ist schwer zu beschreiben, aber man hat den Eindruck, man sitzt nicht auf dem Rahmen als Mitfahrer oben drauf sondern ist Teil des Gesamtkonstrukts. Die Kombination aus 25 Millimeter breiten Reifen, Scheibenbremsen und der für mich neuen Geometrie geben mir auch in den Abfahrten ein deutlich sichereres Gefühl. Während ich früher Kurven in fallendem Gelände eher hasste, machen sie nun Freude. Die Schaltung arbeitet perfekt und dank zweier Fernbedienungsknöpfe („Blips“) am Lenker kann ich nun auch am Berg schalten, ohne umgreifen zu müssen. Das Wichtigste aber ist, dass am Rücken nichts mehr zwickt und ich so deutlich entspannter unterwegs bin. Ein nicht unwesentlicher Punkt zum Schluss: Ein neues Trainingsgerät ist immer mit einem gehörigen Schuss Motivation verbunden, es auch zu benutzen. Es soll ja nicht nur im Keller stehen. Deshalb danke an Bike-Innovations für die Unterstützung bei diesem Projekt und wir sehen uns auf dem Rennrad!