Im Norden wird’s flacher, nicht leichter
In den Tälern von Fulda und Weser entdecke ich schöne Orte und Landschaften. Fulda, Hann. Münden, Hemeln, Bursfelde, Corvey, Porta Westfalica. Verbundsteinpflaster dominiert zunehmend die Strecke. Oft verklemmen sich die Stockspitzen in den Ritzen, zum Glück brechen sie nicht ab. Holprige Betonplatten und Großsteinpflaster würzen die Tour zusätzlich. Viele Radfahrer treffe ich öfters am Tag. Mit einigen komme ich ins Gespräch, andere sieht man nach zwei Tagen wieder und begrüßt sich mit: Hallo, wie geht’s? Probleme wegen der Stockführung gibt es kaum. Sogar die Autofahrer sind größtenteils rücksichtsvoll. Anfangs wundere ich mich über die Gummitaschen, dicken Jacken und langen Hosen der Gepäckradler. Als ich über eine weite Ebene rolle, dabei Wind und Regen ausgesetzt bin, ein greller Blitzschlag in der Nähe dem Ganzen dramatische Züge verleiht und weit und breit kein Unterstand zu sehen ist, werfe ich wütend die Rolldinger in weitem Bogen über den Acker, kauere mich hin und vermisse „nordische Schutzkleidung“ sehr. Regen und Wind kühlen mich aus. Es hilft nichts, du musst weiterlaufen, Gewitter hin oder her, bis dir wieder warm ist. In Bremen rolle ich am Stadion vorbei, dann verlasse ich die Weser. Plötzlich ein Stolperer an der Kunsthalle. Zum Glück nichts passiert. Gut, dass ich Handschuhe trage. Weiter gehts über Tramgleise und nervig holprige Pflasterwege zur Universität und Richtung Norden durch das Teufelsmoor. Den ganzen Tag über versuche ich viel zu essen und zu trinken. Die Blase im Rucksack enthält 1,5 Liter Mineralwasser, dazu kommen einige Flaschen Softdrinks und isotonische Getränke. Hier im Tiefland frühstücke ich Fischsalat, Gemüse, Obst, Ei, Brot, Wurst und Käse. Zweimal pro Tag kaufe ich in Supermärkten ein. Gelegentlich gehe ich essen, was mir eine Magen-Darm-Verstimmung einbringt und zwei weitere Pausentage kostet.
Wind und Regen sind treue Begleiter
An der Elbe setze ich über nach Glückstadt und laufe weiter auf dem Küstenradweg nach Nordfriesland. Vom Süden kommend bin ich von den Winden im nördlichen Niedersachsen beeindruckt. Aber die stürmischen Gegenwinde in Dithmarschen übertreffen alles. Dazu reichlich Schafsköddel auf den Deichwegen, oft rumpelige Betonplatten. Ergänzt wird das Szenario durch abwechselnd Sonnenschein und Regenschauer. Niemand ist unterwegs. Doch da, ein einsamer Radfahrer, wohl von hier, natürlich mit Wetterjacke, Kapuze und langer Regenhose. Es ist nicht mehr weit bis zum Ziel. Ich fühle mich noch relativ gut. Außer Pflaster wegen einer aufgeriebenen Stelle an der Wade komme ich ohne Medizin aus. Nahrungsergänzungsmittel brauche ich keine, zur Anregung nur Kaffee und Cola. Meine Ausrüstung ist, abgesehen vom Stockwechsel, in gutem Zustand. Kein Platten unterwegs, kein Reifenschaden, nichts. Ein Schräuble von der Bremse verlor ich unterwegs. Ein Bauer im Allgäu half mir weiter, danach die Bäuerin mit einem Bier. In Husum erfahre ich von der netten Vermieterin meiner beheizten Ferienwohnung, dass der Hindenburgdamm zur Insel Sylt nur mit der Bahn befahren werden kann. In Horsbüll unterhalte ich mich mit einem begeisterten Ehepaar. Beide sind im Winter oft im Harz langlaufen. Überhaupt sind die Leute im Norden offen für meine Art der Fortbewegung. An nahezu jedem Supermarkt werde ich nett angesprochen. Von Klanxbüll fahre ich eine Station weit über den Damm bis Morsum auf Sylt.
Ziel in Sicht
Durch eindrucksvolle Dünen rolle ich auf schönsten Wegen an der Sylter Westküste entlang. Am Ellenbogen kurz vor dem Ziel kommt eine Mautstelle. Die Dame an der Kasse will mich nicht weiterfahren lassen. Ich sei weder ein Auto, noch ein Radfahrer. Ich erkenne sofort den Ernst der Lage, äußere vollstes Verständnis, schnalle ab und gehe etwa einhundert Meter zu Fuß. Dann rolle ich locker weiter. Die Luft ist klar, der Himmel strahlend blau. Die letzten Betonplatten des Landes führen zur Nordspitze der Insel und ich erreiche nach 18 Tagesetappen, 1.700 Kilometern und sechs Pausentagen das Ziel meiner Langlauftour von den Alpen bis zur See.