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Ski Across Germany: Langlaufen im Sommer von den Alpen bis zur See

Georg Fenzke © Georg Fenzke

Für die Rückfahrt zur Sporthalle in Schonach nutzen wir den Bustransfer. Die Stimmung nach dem Rucksacklauf ist gut, angeregt unterhalten wir uns über Skimarathons. Dann erzählt Michael von seiner geplanten Ultra Skate Challenge 2013 von der Schweizer Grenze bis zur Ostsee über 1650 km in 14 Tagen. Das beeindruckt mich. Ich stelle mir vor, wie er an der Spitze seines Speedteams in gebückter Haltung mit langen Schlittschuhschritten übers Land rollt. Dass ich inspiriert durch seinen Erfolg ein Jahr später meine eigene Challenge angehen werde, weiß ich da noch nicht.

Auf der Haldenwanger Alpe unterhalb des Schrofenpasses, etwa 17 Kilometer südwestlich von Oberstdorf, atme ich tief durch. 700 Höhenmeter sind es vom Kurort rauf zum Start auf 1480 Meter. Gut, dass ich meine Campingausrüstung unten gelassen habe. Hier oben bei der Speicherhütte ist das südlichste Eck Bayerns, wo man gerade noch Rollski, genauer Cross-Rollski fahren kann. Die Abfahrt von der Alpe ist steil. Tückisch sind die eisernen Wasserrinnen. Alle Passagen kann ich rollen. Mit den Wadenbremsen drücke ich die Alu-Klötze auf die Reifen. Der raue Asphalt ist auch nach dem Regen griffig. Die Feuchtigkeit kühlt die heißgebremsten Hinterräder. Ausgerüstet sind meine X-Plorer Rollerski von Powerslide mit 6 Zoll Lufträdern. Die teilbaren Felgen sind aus Magnesium, die Reifen aufgepumpt bis etwa 9 bar.

Es wird schon laufen, komme, was da wolle

Das Ziel der Reise ist die Nordspitze der Insel Sylt. Ich benutze zwei Navis mit unterschiedlichen Geländekarten. Sie weisen Wege, die mir praktisch alle unbekannt sind. Es werden Feld- und Waldwege sein, Radwege über Schotter und Asphalt, kleine Straßen, Wanderwege durch Gebirg und Tal, Routen über Pflaster- und Verbundsteine, Betonplatten und endlose Deichwege. Da ich solo bin, gehe ich die Tour relativ entspannt an. Ich habe nichts geplant oder getestet und verlasse mich auf die Situation vor Ort, die Ausschilderungen am Weg und Routingvorschläge meiner Geräte. Mit Cross-Rollski muss ich keine möglichst flachen, komfortablen Strecken fahren. Ich nehme, was kommt oder was mir zusagt. Schade ist, dass niemand mitrollt. Gut ist, dass ich keine Sponsoren zufrieden stellen oder vorgebuchte Hotels abends erreichen muss. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte man in Südwestdeutschland Rollski mit Ballonreifen und Kabelzugbremsen, die auch bei Rennen im Offroadgelände eingesetzt wurden. Zur speziellen Vorbereitung auf den Winter benutze ich Trainingsrollski mit Gummirollen. Cross-Rollski laufe ich ab und zu wegen ihrer breiten Einsatzmöglichkeiten. Sie eignen sich für Touren, deren Wege schwierig bzw. unbekannt sind. So durchquerte ich 2013 den Nordschwarzwald von Nagold bis Achern, nachdem ich eine Woche zuvor im Hochschwarzwald den Feldberggipfel (1493 Meter) mit Start und Ziel am Freiburger Münster erreicht hatte. 2014 lief ich nach einem schneearmen Winter in zwei Tagen von Tübingen am Neckar über den Mittleren Schwarzwald auf meist asphaltierten Wegen bis Kehl am Rhein.

Georg Fenzke © Georg Fenzke

Großartige Landschaft der Berge und Seen

Von Oberstdorf sind es zwanzig Kilometer Schotterweg bis Immenstadt. Im freien Laufstil versuche ich das zusätzliche Gewicht von Zelt, Schlafsack, Isomatte und Kocher auszubalancieren. Es geht im Allgäu immer rauf und runter. Das Zelten auf feuchter Wiese, das schwülwarme Wetter und der schwere Rucksack machen mir zu schaffen. Am Forggensee bei Füssen passiert es dann. Eine Unachtsamkeit in der schwungvoll eng genommenen Linkskurve beim Hotel Sommer, der linke Carbonstock bleibt in einem tiefen Rohrloch hängen und bricht. Kein Betreuer mit Ersatzmaterial steht am Wegesrand. Ich muss mir selber helfen. Mit Werkzeug, Schrauben und etwas Draht befestige ich eine Wendespitze am zirka zwanzig Zentimeter kürzeren Stock. Die großartige Landschaft der Berge und Seen bei Hohenschwangau entschädigt für das Malheur am Hotel. An den Einsatz der ungleich langen Stöcke gewöhne ich mich langsam. Auch die täglichen Regenschauer ertrage ich gelassen, weniger die schwüle Hitze und die Gewitter. Mit dem schweren Gepäck und den feuchten Sachen kann ich mich nicht abfinden. Am Lech südlich von Augsburg mache ich zwei Tage Pause. Ich besorge mir neue Stöcke, trockne alle Sachen und verabschiede mich vom Campingzeug. Mir ist klar, dass ich das Gepäck reduzieren muss, wenn ich in der freien Technik täglich zwischen 80 bis 100 Kilometer im kupierten Gelände laufen will. So kann ich die Rückenmuskulatur schonen und das Sturzrisiko verringern.

Genießen im Maintal, rackern in der Rhön  

Die tägliche Zimmersuche ist lästig. Doch insgesamt erhole ich mich jetzt besser. Ich rolle über Augsburg, Donauwörth, Nördlingen, Rothenburg nach Tauberbischofsheim auf Rad-, Feld- und Wirtschaftswegen, Forstpisten, über Berg und Tal, auf Gehwegen und Nebenstraßen. In Würzburg erreiche ich das Maintal. Die schöne Landschaft und der vorzügliche Radweg machen die nächsten fünfzig Kilometer bis Gemünden zur Genussfahrt. Stromabwärts mit Rückenwind rollt es gut, wenn nicht, hänge ich mich in den Windschatten eines Radfahrers oder versuche, mit den Motorgüterschiffen mitzuhalten. Über die westlichen Ausläufer der Rhön bis hin zur Fulda muss ich wieder kämpfen. Auf übelsten Schotterwegen schiebe ich die Rollski in der Doppelstocktechnik bergauf. Feuchte schlammige Feldwege, aufgebrochener Asphalt, Baustellen mit Kiesbelag, steilste Anstiege und grob geschotterte Fahrrinnen können mich nicht überzeugen, abzuschnallen und zu Fuß zu gehen.  An der oberen Fulda betrete ich abends völlig durchnässt, erschöpft und dreckig eine dunkle Hotelhalle. Und bekomme ohne Probleme ein freundliches gelbes Zimmer. Nur leider fehlt auch hier wie überall ein Unterstützerteam, das für mich einkauft, Essen und Getränke zubereitet, Kleidung wäscht, Etappen plant, die Ausrüstung reinigt und präpariert, Stockspitzen schärft und viele kleine Dinge mehr.

Im Norden wird’s flacher, nicht leichter

In den Tälern von Fulda und Weser entdecke ich schöne Orte und Landschaften. Fulda, Hann. Münden, Hemeln, Bursfelde, Corvey, Porta Westfalica. Verbundsteinpflaster dominiert zunehmend die Strecke. Oft verklemmen sich die Stockspitzen in den Ritzen, zum Glück brechen sie nicht ab. Holprige Betonplatten und Großsteinpflaster würzen die Tour zusätzlich. Viele Radfahrer treffe ich öfters am Tag. Mit einigen komme ich ins Gespräch, andere sieht man nach zwei Tagen wieder und begrüßt sich mit: Hallo, wie geht’s? Probleme wegen der Stockführung gibt es kaum. Sogar die Autofahrer sind größtenteils rücksichtsvoll. Anfangs wundere ich mich über die Gummitaschen, dicken Jacken und langen Hosen der Gepäckradler. Als ich über eine weite Ebene rolle, dabei Wind und Regen ausgesetzt bin, ein greller Blitzschlag in der Nähe dem Ganzen dramatische Züge verleiht und weit und breit kein Unterstand zu sehen ist, werfe ich wütend die Rolldinger in weitem Bogen über den Acker, kauere mich hin und vermisse „nordische Schutzkleidung“ sehr. Regen und Wind kühlen mich aus. Es hilft nichts, du musst weiterlaufen, Gewitter hin oder her, bis dir wieder warm ist. In Bremen rolle ich am Stadion vorbei, dann verlasse ich die Weser. Plötzlich ein Stolperer an der Kunsthalle. Zum Glück nichts passiert. Gut, dass ich Handschuhe trage. Weiter gehts über Tramgleise und nervig holprige Pflasterwege zur Universität und Richtung Norden durch das Teufelsmoor. Den ganzen Tag über versuche ich viel zu essen und zu trinken. Die Blase im Rucksack enthält 1,5 Liter Mineralwasser, dazu kommen einige Flaschen Softdrinks und isotonische Getränke. Hier im Tiefland frühstücke ich Fischsalat, Gemüse, Obst, Ei, Brot, Wurst und Käse. Zweimal pro Tag kaufe ich in Supermärkten ein. Gelegentlich gehe ich essen, was mir eine Magen-Darm-Verstimmung einbringt und zwei weitere Pausentage kostet.

Überfahrt © Georg Fenzke

Wind und Regen sind treue Begleiter

An der Elbe setze ich über nach Glückstadt und laufe weiter auf dem Küstenradweg nach Nordfriesland. Vom Süden kommend bin ich von den Winden im nördlichen Niedersachsen beeindruckt. Aber die stürmischen Gegenwinde in Dithmarschen übertreffen alles. Dazu reichlich Schafsköddel auf den Deichwegen, oft rumpelige Betonplatten. Ergänzt wird das Szenario durch abwechselnd Sonnenschein und Regenschauer. Niemand ist unterwegs. Doch da, ein einsamer Radfahrer, wohl von hier, natürlich mit Wetterjacke, Kapuze und langer Regenhose. Es ist nicht mehr weit bis zum Ziel. Ich fühle mich noch relativ gut. Außer Pflaster wegen einer aufgeriebenen Stelle an der Wade komme ich ohne Medizin aus. Nahrungsergänzungsmittel brauche ich keine, zur Anregung nur Kaffee und Cola. Meine Ausrüstung ist, abgesehen vom Stockwechsel, in gutem Zustand. Kein Platten unterwegs, kein Reifenschaden, nichts. Ein Schräuble von der Bremse verlor ich unterwegs. Ein Bauer im Allgäu half mir weiter, danach die Bäuerin mit einem Bier. In Husum erfahre ich von der netten Vermieterin meiner beheizten Ferienwohnung, dass der Hindenburgdamm zur Insel Sylt nur mit der Bahn befahren werden kann. In Horsbüll unterhalte ich mich mit einem begeisterten Ehepaar. Beide sind im Winter oft im Harz langlaufen. Überhaupt sind die Leute im Norden offen für meine Art der Fortbewegung. An nahezu jedem Supermarkt werde ich nett angesprochen. Von Klanxbüll fahre ich eine Station weit über den Damm bis Morsum auf Sylt.

Ziel in Sicht

Durch eindrucksvolle Dünen rolle ich auf schönsten Wegen an der Sylter Westküste entlang. Am Ellenbogen kurz vor dem Ziel kommt eine Mautstelle. Die Dame an der Kasse will mich nicht weiterfahren lassen. Ich sei weder ein Auto, noch ein Radfahrer. Ich erkenne sofort den Ernst der Lage, äußere vollstes Verständnis, schnalle ab und gehe etwa einhundert Meter zu Fuß. Dann rolle ich locker weiter. Die Luft ist klar, der Himmel strahlend blau. Die letzten Betonplatten des Landes führen zur Nordspitze der Insel und ich erreiche nach 18 Tagesetappen, 1.700 Kilometern und sechs Pausentagen das Ziel meiner Langlauftour von den Alpen bis zur See.

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