In seiner neuesten Reportage berichtet Georg Fenzke von seiner Alpenüberquerung auf Crossrollern. In drei Tagen ging es für ihn von Mittenwald zum Gardasee. Dabei hat er so einiges erlebt. Aber lest selbst …
September 2015: Die Sonne scheint über Mittenwald. Gern komme ich zum Klettern, Bergsteigen oder Radfahren in dieser Gegend. Heute bin ich auf andere Art unterwegs. Mit Offroad Rollski geht’s an der Isar entlang nach Vorder- und Hinterriss. Fünfzig Kilometer sind es bis zur Eng-Alm mitten im Karwendelgebirge. Dort schnalle ich die Ski am Rucksack fest und wandere mit einem Kölner Bergsteiger zur Falkenhütte. Die steile Abfahrt am nächsten Morgen zur Ladiz-Alpe ist schwierig, mit luftgefüllten Rädern und zusätzlichen Bremsen aber machbar. In Trailschuhen gehe ich über den kleinen Ahornboden und weiter auf die Hochalm am Karwendelhaus. Oben angekommen setze ich mich auf die Wiese und ruhe aus. Dann gilt es! Ich ziehe die Skischuhe wieder an und drücke sie in die Bindungen. Die Stöcke fasse ich kürzer und fahre, die Ski versetzt und enger zusammen, die ersten Serpentinen der langen Abfahrt. In den Kehren liegt Geröll. Nicht stolpern beim Umtreten! Dann wieder beschleunigen, bremsen, beschleunigen und immer die Vorderräder entlasten! Biker kommen mir entgegen. Freundliche Grüße, einige überraschte Reaktionen. Ihr Respekt für diese Art Bergsport motiviert mich. Mittagspause. Die schöne Landschaft im wilden Karwendeltal ist vielseitig. Mein Blick schweift in die Ferne gen Süden. Hinter den Bergketten liegt die norditalienische Tiefebene. In Gedanken rolle ich durchs Gebirge auf schönen Wegen und über niedrige Pässe. Eine Rollski-Tour über die Alpen, das könnte mir gefallen. Mit Rucksack unterwegs auf festen Wegen über Berg und Tal. Oder gar im hochalpinen Gelände das nahezu Unmögliche versuchen …? Beflügelt von solchen Ideen sause ich in schneller Fahrt über den Talboden. Den steinigen Gegenanstieg nehme ich mit vollem Einsatz, meist im Doppelstockschub. Noch einmal steil bergab. Aufgepasst bei der letzten Stufe. In Scharnitz treffe ich wieder auf die Isar.
Im Inntal läuft es gut
Mai 2016: Der Regen lässt nach. Ich starte am Bahnhof Mittenwald. Auf feuchtem Schotter rolle ich im Isartal durch die Scharnitzer Klause. Weiter oben ist Neuschnee gefallen. Für eine hochalpine Rollski-TransAlp liegt noch zu viel Schnee in den Übergängen zwischen zwei- bis dreitausend Metern. Deshalb sind die Täler von Inn und Etsch für die alpine Frühlingstour das Gelände meiner Wahl. Die fahrtechnischen Schwierigkeiten sind bei trockenem Wetter überschaubar. Reizvoll ist für mich die Frage, ob sich die 346 Kilometer und 3.100 Höhenmeter in zwei bis drei Tagen bewältigen lassen. Ich versuche die Tour langsam anzulaufen, den Druck zu mindern und mich auf den Weg zu konzentrieren. Nach achtzehn Kilometern und dreihundert Höhenmetern auf Schotterwegen und ruhigen Straßen rolle ich durch die Langlaufregion Leutasch in Tirol. Ein zweites Frühstück auf einer Holzbank im Loipengebiet und weiter geht’s hundert Meter höher durch den Wald, dann folgt die lange und steile Abfahrt nach Telfs. Gut, dass ich heute Morgen Material getestet und robuste Langlaufschuhe mit angeschraubten Wadenbremsen genommen habe. Mittagspause im Bistro, Erfahrungsaustausch mit einem Tiroler Rennradler und Erleichterung darüber, dass ich die steilen Passagen sicher fahren konnte. Der Radweg im Inntal ist bis auf einige Schotterpassagen leicht zu rollen. In der Nähe des Skigymnasiums Stams kommen mir zwei junge Läuferinnen auf Klassik-Rollski entgegen. Wir grüßen uns. In Landeck kaufe ich ein. Als Rollskiläufer bin ich allein mit Rucksack unterwegs und irgendwie auffällig. Oft werde ich in den Pausen von Radwanderern nett angesprochen. Einige wollen wissen, wohin ich mit meinen Dingern will. „Mal sehen, ich habe gerade Urlaub, vielleicht bis zum Gardasee.“ Ja, was ich denn so treibe. Dann erzähle ich zum Beispiel, dass ich zur Vorbereitung bis Ende April an fünfundfünfzig Tagen auf Schnee langlaufen war. Dass ich selbst gern Radtouren mache, erst kürzlich um Himmelfahrt mit Freunden in dreieinhalb Tagen über tausend Kilometer von Süddeutschland nach Dänemark. Gefragt nach den Cross-Rollski gebe ich zu, dass ich zuhause lieber mit Trainingsrollski auf kleinen Gummirädern übe. Die Herausforderungen der TransAlp sind eine reizvolle Abwechslung zum Freizeitsport auf Schwarzwaldloipen, Radwegen und Rollerpisten. Gut, wir sind hier auch auf einem Radweg. Dazu der schönste, den man sich wünschen kann. Bis zum Eingang ins Kaunertal will ich heute noch laufen. In Prutz habe ich Glück und komme in einem Hotel unter. Nach der Dusche fühle ich mich wieder gut. Abgesehen von einigen Grätenschritten durch zwei Baustellen bin ich heute alles gerollt und hatte viel Spaß dabei. Das müsste auch die kommenden zwei Etappen möglich sein.
Vom Unterengadin über den Reschenpass
Die zweite Etappe ist landschaftlich vielfältig. Der Eingang ins Unterengadin beeindruckt durch steile Felswände und schneebedeckte Gipfel. In Martina verpflege ich mich für den langen Anstieg. Auf der ruhigen Bergstraße erreiche ich nach 426 Höhenmetern die Norbertshöhe. Kurze Abfahrt und Mittagspause in Nauders. Die mäßig ansteigenden Wege zum Reschenpass sind ein Genuss. Dann folgt die schönste Passage meiner Rollski-TransAlp, der wellig kurvige Weg am Westufer entlang des Reschensees mit Blick auf das Ortlergebiet. Ich nehme den Schwung der kleinen Abfahrten mit in die Gegenanstiege. Dabei nicht viel bremsen, klein machen, zügig umtreten und rechtzeitig beschleunigen. Der Rucksack muss festgezurrt und jeder Schritt sauber ausgeführt werden, um die Schwerpunktlinie vom Kinn über das Knie und die Bindung zu bringen. Wegen des Gepäcks reduziere ich den Einsatz der unteren Rumpfmuskulatur und versuche etwas aufrechter und entspannter zu laufen. Die steile, hindernisreiche Abfahrt ins Vinschgau erfordert meine ganze Aufmerksamkeit. Kuhdreck, Kanten, Löcher, Holzbrücken und Gitter gehen ja noch. Kriminell sind die Wasserrinnen. Fahrräder können die ab. Meine Vorderräder verschwinden in diesen scharfkantigen Eisenschienen und finden nicht wieder raus, die Rahmen der Ski setzen auf. Dass ich abbremsen und in der Abfahrt irgendwie ohne zu stürzen drüber stolpern kann, wundert mich. Um die Reifen zu schonen und einen Platzer zu vermeiden, halte ich zweimal an und kühle mit Wasser aus dem Schlauch der Trinkblase die heiß gelaufenen Bremsen. Der schmale, meist flache Radweg im obersten Teil des Etschtals lässt sich angenehm rollen. Die Biotope sind geschottert und gefühlt endlos. Der Gegenwind bremst. Ich muss mich beeilen, um in Laas noch etwas einzukaufen. In Latsch finde ich am frühen Abend ein schönes großes Zimmer mit herrlich bequemem Sofa.