Ski across the Alps: Langlaufen von Mittenwald nach Torbole

Georg Fenzke beim Ski across the Alps © Georg Fenzke

Gegen den Wind, gegen die Uhr

Ski across the Alps © Georg Fenzke

Noch 160 Kilometer bis zum Ziel. Nicht wenig für eine Etappe am dritten Tag. Und der Wind könnte für Mehrbeschäftigung sorgen. Ich frühstücke lang und gut. Die Tour am Vormittag nach Meran ist angenehm. Heute ist Sonntag, im Interspar erledige ich meine Einkäufe. An der eleganten Bar trinke ich einen Espresso. Molto bene. Und auf geht’s! Der Rucksack ist schwer. Keine halbe Stunde später plötzlich ein Platten am linken Hinterrad. Schlauchwechsel und Mittagspause unter einem Baum am Ufer der Etsch. Der Widerstand nimmt zu. Dass es bis in den späten Abend acht Stunden starker bis stürmischer Gegenwind werden, weiß ich zum Glück nicht. Den Kopf leicht gesenkt, die Schultern geduckt, versuche ich effiziente Bewegungen auszuführen. Ich bevorzuge die Lauftechniken Eins-Eins- und Eins-Zwei-Schlittschuhschritt und Doppelstockstoß. In Bozen sehe ich, dass mein Navi den Track bis Rovereto verloren hat. Nicht schlimm, solange die Ausschilderung stimmt und es hell ist. Hinter Trient nehme ich das Vesper zu mir: Speck, salzige Oliven, Tomaten, Mozzarella und Olivenbrot. Die Riegel und Gels auf dem Boden des Rucksacks rühre ich auch heute nicht an, isotonische Getränke um so lieber. Es wird dunkel. Noch fünfunddreißig Kilometer. Meine Stimmung ist im Keller. Wolltest du nicht jetzt spätestens im Ziel sein? Tja, es hilft nichts, du hast die Windverhältnisse und Streckenlänge unterschätzt. Sieh zu, wie du das Ding zu Ende bringst!

Die Hunde bellen, wenn sie das Klacken hören

Ski across the Alps © Georg Fenzke

Hinter Rovereto verfahre ich mich und mache zwei größere Umwege. Auch das noch. Es ist nach Mitternacht. Keiner ist mehr unterwegs. Im Tal höre ich die Hunde bellen, wenn sie das Klacken meiner Spitzen hören. Das Mondlicht erlaubt mir, die Batterie der Stirnlampe zu schonen. Es geht aufwärts. Ich werde wieder wach. Die Anstiege sind eine willkommene Abwechslung nach dem flachen Gelände. Der rote Kerzenschein des Madonna-Bildstocks gibt mir Kraft. Noch etwa zweihundert Höhenmeter bis zum Pass. Dann das Finale mit zehn Prozent Steigung. Ich muss kurz verschnaufen. Komm weiter. Ist so gut wie geschafft. Die Abfahrt nach Torbole genieße ich. Langsam und konzentriert rolle ich die steile Straße zum See. Mein Blick geht immer wieder zum Wasser. Darin spiegelt sich das Mondlicht, die schwarzen Berge erheben sich mächtig im Hintergrund. Zwei Kurven in Torbole und ein Uhr vierzig bin ich am Gardasee. Ich strecke die bloßen Füße ins Wasser und schreibe Kurznachrichten nach Hause. Gegen drei Uhr schlüpfe ich in meinen Leicht-Biwaksack und schlafe direkt am Ufer einige Stunden. Am Frühstücksbuffet im Benaco stärke ich mich für die Rückfahrt. Ein Vereinskamerad kommentiert die Nachricht meiner Ankunft und Frühstückspause in „seinem“ Hotel so: „Wow. Abartig. Allergrößter Respekt, Du Tier! Genieß Dein wohlverdientes Futter!“ Außer einer Blase bin ich ohne Blessuren oder Stürze durchgekommen. Mit sechsundsechzig Stunden Gesamtzeit habe ich die erhoffte Ankunft am Abend um einige Stunden verpasst, dabei die Schwierigkeiten und Verhältnisse etwas unterschätzt. Ich laufe zurück zum Passo San Giovanni. Regen setzt ein, dann Starkregen. Auch nicht schlecht. Das Wasser kühlt die Bremsen und Reifen in der Abfahrt zum Fiume Adige. Zwei Deutsche fragen mich auf Italienisch, wohin es nach Verona gehe. Erfahren durch meine Irrtümer in der Nacht an gleicher Stelle kann ich jetzt helfen. In Rovereto nehme ich die Bahn und fahre nach Innsbruck. Dort schleiche ich wegen der Zehenblase etwas ungelenk in einen Imbiss, bestelle Fisch und bezahle. Der Verkäufer asiatischer Herkunft erkennt in mir einen Menschen in augenscheinlich schwierigen Verhältnissen und schenkt mir eine große Portion Hühnchenfleisch dazu. Vielen Dank. Schmeckt auch gut. Noch eine Stunde mit der Karwendelbahn nach Mittenwald. Oben in den Bergen schneit es wieder.

Georg Fenzke, 15. August 2016

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