Tartu Maraton Virtual Race: Ein Selbstversuch von Michael Förster

Michael Förster beim Tartu Maraton Virtual Race

Nur die wenigsten Skimarathons konnten diesen Winter in gewohnter Form stattfinden. Umso mehr boomten sogenannte virtuelle Rennen. Michael Förster vom xc-ski.de A|N Skimarathon Team hat den Selbstversuch beim Tartu Maraton Virtual Race gewagt.

Raceday

Der Wecker klingelt früh. 4:50 Uhr. Kurz überlege ich warum. Es ist doch Sonntag. Dann muss Raceday sein. Schon fällt es mir ein. Tartu Maraton is calling. 63 Kilometer Doublepoling warten auf mich! Die estnische Unterkunft erinnert mich an meine Wohnung zu Hause. Auch die Zutaten für das Frühstück stehen alle am bekannten Platz. Die Auswahl wie immer: Haferbrei, Banane und Espresso. Der Startort ist nur fünf Kilometer entfernt. Die Wettervorhersage verspricht für ein Langlaufrennen viel zu warme Temperaturen. Gut, dass die Loipe zum Großteil im Schatten liegt. Jetzt um kurz nach 7 Uhr ist es noch einigermaßen kalt. Null Grad zeigt die Temperaturanzeige meines Autos an. Mein Plan war, mit einem warmen Klassikski und nassem Schliff ins Rennen zu gehen. Diesen hatte ich vorbereitet. Nach einem kurzem Test entscheide ich mich um. Der Doublepoler-Ski mit Universalschliff – und leider nur Trainingswachs – ist in der noch eisigen, kompakten Loipe unschlagbar. Ski und Schliff schlägt Wachs. Das habe ich nach mehreren kräftezehrenden Learnings verinnerlicht.

Startschuss

Michael Förster beim Tartu Maraton Virtual Race © Basilia Förster

Ich stelle mich an die Startlinie. Nun befinde ich mich im Tunnel. Ich sehe nur die in den Schnee eingefrästen Gleise vor mir. Keine anderen Teilnehmer, keine Zuschauer. „Go“ ruft eine mir bekannte Stimme. Zeitgleich starte ich meine Uhr und katapultiere mich aus dem Startblock. Das erste Drittel des Rennens verläuft auf einem kupierten Rundkurs. Die Loipe ist schnell. Das ist gut so. Es wird ein Rennen gegen die ansteigenden Temperaturen. Das Morgenrot des hinter dem Startpunkt mit den weißen Gipfeln um die schönste Farbe konkurrierenden Osthimmels verspricht einen sonnigen Vormittag. Ich nutze die Abfahrten, um den Grad der durch Erwärmung einsetzenden Verlangsamung der Loipe festzustellen. Es geht schnell. Zu schnell. Gepaart mit dem auffrischenden Ostwind wird Runde um Runde anstrengender. Bald ist das erste Drittel geschafft. Nun geht es eine steile Rampe hinauf. Kraftvoll und zugleich vorsichtig, um die Stockspitzen auf dem gefrorenen Untergrund nicht zu brechen, schiebe ich hinauf. Die nächsten zwei Kilometer geht es über eine rasante Abfahrt hinunter zum am Biathlonstadion vorbeiführenden zweiten Rundkurs des heutigen Race-Parcours. Dieser liegt länger im Schatten. Ich kämpfe weiter gegen die Uhr. 30 Kilometer und damit fast die Hälfte sind geschafft. Knapp über 90 Minuten zeigt meine Uhr. Verpflegung gibt es heute ausschließlich über den Trinkschlauch meines Hüftgurts. Ich fühle mich immer noch gut. Erstaunlich gut, wenn ich an die vergangene Volumenwoche mit bereits über 300 Kilometern auf Schnee denke. Macht man so etwas vor einem wichtigen Rennen? Sicher nicht! Doch diese Saison ist alles anders. Auch dieses Wochenende. Ich war noch nie in Estland. Und auch heute zum Tartu Maraton bin ich aufgrund der Reiserestriktionen nicht dort. Den Tartu Maraton laufe ich virtuell auf meiner Heimloipe zwischen Klais und Kaltenbrunn. Vor einer Woche hatte ich noch ein deutlich längeres Loipennetz zur Verfügung. Doch die warmen Temperaturen zwangen mich zur Streckenänderung. Etwas, das auch bei richtigen Rennen passiert. Runde um Runde spule ich ab. Die Start und Zielbogen am Stadion erinnern mich ein ums andere Mal daran, im Rennmodus zu bleiben. Ich wechsle ab zwischen Startrunde, Achter und Achter mit Zusatzschleife am Fischweiher. Die Loipen sind mittlerweile gut frequentiert. Häufige Spurwechsel wie bei teilnehmerstarken Läufen sind angesagt, heute aber auch Aufpassen auf den Gegenverkehr.

Gedanken während des Rennens

Michael Förster beim Tartu Maraton Virtual Race © Basilia Förster

Erneut kehren meine Gedanken zu dieser außergewöhnlichen Saison zurück. Gerne wäre ich heute in Estland. Und letzte Woche in Tschechien. Und bald in Skandinavien. Doch habe ich mir schon lange abgewöhnt, mich zu sehr mit Dingen außerhalb meines Einflussbereichs zu beschäftigen. Der Pandemie wie auch dem Virus ist es egal, ob ich im estnischen Otepää oder kurz hinter dem bayerischen Garmisch meinen Rennanzug anziehe. Und das geliebte Gleiten über den Schnee ähnelt sich – ungeachtet der räumlichen Distanz zwischen den weit entfernten Orten – auch sehr. Ich befinde mich nun im letzten Drittel des Rennens. Müdigkeit und Erschöpfung machen sich nun bemerkbar. Ich trinke in immer kürzer werdenden Abständen aus meinem Trinkschlauch. Mein Körper braucht die Carbs. Ich lenke meine Gedanken auf die positiven Dinge. Ich spüre die Energiezufuhr. Nach jeder Verpflegung bekomme ich einen kleinen Energieschub. Mein Ski läuft noch immer ausgezeichnet. Alles gut! Welche Parallele zur aktuellen Situation. Was würde es bringen, über die Restriktionen und damit ausgefallenen Reisen zu den Rennorten zu grübeln? Geht es nicht vielmehr darum, das Beste aus der Situation zu machen? Und trotz aller Widrigkeiten dankbar zu sein. Dankbar dafür, gesund Schnee und Sonne zu genießen. Den Erschöpfungsschmerz nach mittlerweile über 50 Kilometern zu spüren. Und im Rahmen des virtuellen Formats selbst die Möglichkeit zu haben, das Streckenprofil zu designen. Und so habe ich mich dafür entschieden, auf den letzten vier Kilometern noch mal einen kräftezehrenden Anstieg einzubauen. Den Downhill nach Elva spare ich mir für das nächste Mal auf. Die „Mini-Cascata“ fordert noch mal alles, bevor es auf die Zielgerade geht. Der Schnee ist sulzig und der Ski saugt nun auch. Zeit für das Finish. Nach 3:18 Stunden und 63 Kilometern stoppe ich die Uhr. Am Zielort ist einiges los und so erinnert das Szenario tatsächlich etwas an ein reguläres Finish. Meine Frau Basilia und befreundete Langläufer empfangen mich.

Anders, aber doch viel gemeinsam

Michael Förster © Tartu Maraton

Bei nun strahlendem Sonnenschein blicke ich zurück auf meinen virtuellen Tartu-Marathon und versuche, die Unterschiede zum Original-Rennen zu finden.

  • Pastaparty? Gab es gestern Abend bei mir zu Hause und jetzt gleich wieder!
  • Zeitmessung? Meine Garmin! Zugegeben, der Vergleich zu anderen Läufern ist aufgrund der unterschiedlichen Streckenprofile und Schneebedingungen nicht valide.
  • Verpflegung? Gab es ausreichend über mein Trinksystem! Motivation? Wie immer top!
  • Gratulation und Shake Hands? Gibts es gerade zahlreich über Kudos und Kommentare auf Strava.

Trotzdem. Ganz kommt das virtuelle Format nicht an das Original heran. Aber das läuft nicht davon. Und die vielen Trainingskilometer legen schon mal einen vielversprechenden Grundstein für die kommende Wintersaison und die 48. Auflage des Tartu Maraton – dann hoffentlich in Estland!

Wer übrigens noch am Tartu Maraton Virtual Race teilnehmen will, kann dies noch bis zum 14. März 2021 tun und einen virtuellen Stempel für die Worldloppet Virtual Racing League sammeln!