Wir sind oben, ganz oben. Vor uns breitet sich das UNESCO Weltnaturerbe der Dolomiten aus, wie gemalt aus weiß und grau auf blauem Grund. Fast so blau wie Florians Langlaufanzug, den unser Guide als Zeichen seiner Zugehörigkeit zur nationalen Vereinigung der Langlauflehrer trägt. Links von uns liegt die Dürrensteinhütte, rechts von uns die Ruine des Werks Plätzwiese und hinter uns das gleichnamige Hochplateau, eines der schönsten Langlaufgebiete der Welt. Behaupte ich jetzt mal so.
Endlich ist Zeit zum Reden. Zwar durften wir nicht die vor uns liegende Serpentinenstrecke vom Höhlensteintal aus in die Berge aufsteigen, die Lawinengefahr war noch zu groß. Trotzdem war die zuvor zurückgelegte Langlaufrunde vom Hotel „Hohe Gaisl“ bis hinauf zu unserem 2040 Meter hohen Aussichtspunkt nicht unbedingt dazu geeignet, längere Gespräche zu führen. Ob es nun an der dünnen Luft oder unserer Sprachlosigkeit ob der gigantischen Landschaft lag, sei dahingestellt. Oben ist oben und Florian Kostner erklärt uns in bester Bergführer-Manier die umliegenden Berge, während Stephanie Santer, ganz die Ehefrau, fleißig die Namen der Berggipfel korrigiert. Wichtig dabei: unter uns, ganz weit unter uns, etwas links versteckt, sieht man Schluderbach im Höhlensteintal, gelegen an einer der bekanntesten Langlauftouren schlechthin. Spätesten seit der Tour de Ski, allerspätestens aber seit unserer Reportage im letzten Jahr kennt jeder die Strecke zwischen Cortina d’Ampezzo und Toblach. Auch dort lassen sich gehörig Höhenmeter machen, doch ist die ehemalige Bahnstrecke kein Vergleich zu der Runde, die sich ab Schluderbach über die Plätzwiese, hinunter nach Prags und das Pustertal zurück nach Toblach absolvieren ließe. Auch wenn die Angaben leicht variieren, rund 40 Kilometer und 1.000 Höhenmeter im Anstieg sind eine Ansage.
Wir haben Pech im Glück. Das Glück waren die Schneefälle, die uns diese Reise erst ermöglichten, Südtirol musste lange auf die weiße Unterlage warten. Doch das war auch unser Pech, denn die Lawinengefahr verhinderte das Erlebnis der Gesamtrunde. Keine zwei Tage nach unserer Abreise sollte der Pass dann schon wieder geöffnet sein. Wir begnügen uns schließlich mit einer Runde entlang der herrlich spaßigen Loipen der Plätzwiese. Rasante Abfahrten, knackige Anstiege und diese herrlich lässigen Schleifen mit Dolomitenpanorama wurden von einem kurzen Umtrunk an der Almhütte gekrönt. Die Gespräche drehen sich um die kurzen Karrieren von Stefanie und Florian in der italienischen Nationalmannschaft und der wesentlich erfolgreicheren Zeit, als die FISI eine eigene Mannschaft zum FIS Marathon Cup schickte. Immer geht es dabei weniger um Erfolge, denn um diesen unglaublichen Enthusiasmus, mit der sich der Langlaufsport betreiben lässt. Hier haben zwei zusammengefunden, die den Winter lieben und leben, auch wenn inzwischen Familie und Beruf im Vordergrund stehen. In Toblach scheinen die beiden gut aufgehoben zu sein dafür. Immer noch steht der Ort als Langlaufdestination entweder im Schatten des weithin bekannten Biathlon-Weltcups im nahe liegenden Antholz, oder unter den im Rennsport interessierten Nordischen zumindest hoch im Kurs als Austragungsort von Skimarathons und Tour de Ski Etappen. Das alles ist großer Sport, doch wird dabei gerne vergessen, dass sich hier eine langlauftouristische Kompetenz zusammenbraut, die selbst an der Nordseite der Alpen ihresgleichen sucht.
Die beiden langen Runden, respektive Strecken, haben wir bereits angesprochen. Hier lassen sich ganze Tagesprogramme abspulen, ohne einen Kilometer doppelt laufen zu müssen und es lässt sich dabei auch noch eine weltweit einzigartige Landschaft genießen. Als Höhepunkt lassen sich beide Strecken sogar miteinander kombinieren. So wäre die Plätzwiese genauso gut von Cortina, beziehungsweise dem Loipeneinstieg in Fiames aus zu erreichen. Schon wäre eine neuer Klassiker unter den Langlaufanstiegen geboren. Abgesehen von Routen, auf denen sich die Höhenmeter schnell addieren, hat Toblach aber auch seine entspannten Seiten. Entlang des Pustertales zieht sich die Sonnenloipe, die mit sanften Anstiegen und leichten Abfahrten Niederdorf, Toblach und Innichen verbindet und damit den Anschluss nach Prags oder ins Fischleintal herstellt. Der Name ist dabei Programm. Entlang den Südhängen des Tales ist es nur eine Frage der Zeit, bis wärmende Sonnenstrahlen den Langläufer begleiten. Ein großes Projekt ist dabei die Verringerung der ungespurten Straßenquerungen, die Ortsloipen normalerweise mit sich bringen. Wie sich bald zeigen soll, hat diese Direktanbindung aber auch große Vorteile.
Wir sind zurück in Toblach, im Hotel Union, dessen Besitzer Enrico Comini zwar weniger Zeit auf den Wettkampfloipen verbracht hat, aber kaum weniger Begeisterung für den Langlaufsport besitzt. Als Mitglied bei den Cross Country Ski Holidays garantiert er besten Service für Langläufer und opfert für die Ortsloipe sogar einen Teil seiner Hotelparkplätze. So ist es egal, ob wir nun Richtung Niederdorf oder Innichen wollen, der Einstieg ist jeweils keine 15 Meter vom Hoteleingang entfernt. Hier holt uns Florian am nächsten Morgen zu einer kurzen Runde durch den Ort ab. Sightseeing auf Ski quasi, wobei auch jederzeit ein praktischer Nutzen mit den diversen Attraktionen verbunden ist. Da ist das Grand Hotel keine Ausnahme. Ein Prachtbau aus der Zeit, als hier noch vornehmlich österreichische Adlige zum Entspannen herkamen, der für uns vor allem den Loipen-Einstieg direkt neben dem Bahnhof markiert. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind schließlich ein wesentlicher Bestandteil der sportlichen Infrastruktur, sei es nun mit dem Bus in die Täler hinein oder mit der stets kurz getakteten Bahn entlang des Pustertales.
Nur ein paar Minuten entfernt liegt Toblachs sportlichstes Bauwerk, die Nordic Arena, bekannt aus zahlreichen Langlauf-Weltcups. Gerade jetzt, in der Zeit Anfang Februar, wenn der letzte Feinschliff für die Weltmeisterschaften ansteht, treffen sich noch einmal die Nationalmannschaften zum finalen Trainingslager. Deutschland, Russland und Finnland geben sich gerade die Ehre, als wir die schattig aber dadurch schneesicher gelegenen Wettkampfloipen erreichen. Wer sich noch etwas austoben will, ist auf den Loipen „Nathalie“, „Stephanie“ und „Saskia“ genau richtig. Florians Schwiegervater hat hier bei diesem maßgeblich von ihm mit initiierten Projekt die Namen seiner Kinder verewigt und damit den erfolgreichen, vor allem aber enthusiastischen Langläuferinnen ein Denkmal gesetzt. Ein Hauch von bitterer Ironie steckt schon darin, dass nun gerade Stephanie sich im elterlichen Betrieb ums Büro zu kümmern hat, während wir versuchen uns an Florians Skienden zu klemmen. Bleibt zu hoffen, dass ein Tag auf der Plätzwiese genug Entschädigung war für all die Arbeit, die hier für den nordischen Skisport geleistet wird.