Unser Busfahrer muss sich wie ein Bobfahrer im Eiskanal fühlen. Die Serpentinen hoch zur Plätzwiese werden von meterhohem Schnee flankiert. Mit seinen monströsen Schneeketten tuckert er uns gemütlich und sicher hinauf zu einer der schönsten Hochalmen der Alpen.
Die Loipe hier oben bietet eine traumhafte Runde durch ein monumentales Gipfelkolosseum. Gerade präparieren die Damen der Kanadischen Nationalmannschaft ihre Bretter um die roten Blutkörperchen in Wallung zu bringen. Mit dem Tempo können wir nicht mithalten. Gemach ansteigend skaten wir weniger rasant bis zur Dürrensteinhütte. Ferdinand Mair, Hüttenwirt und Chefkoch in Personalunion, steckt uns, dass er heute Tris di Gnochi kochen wird. Dreierlei Nocken mit Spinat-, Käse- und Tomatenfüllung, mit zerlassener Butter und ein bisserl Parmesan drüber. Die kulinarische Aussicht gibt uns einen extra Motivationsschub.. Die geografischen Aussichten sind ebenso atemberaubend. Der markante Monte Cristallo und natürlich die sich direkt vor uns aufbauende 3146 Meter mächtige Flanke der Hohen Gaisl sorgen für ein unschlagbares, hochalpines Panorama. Auch die Loipe bekommt die Bestnote, denn sie zersägt die Landschaft nicht, sondern erobert sie schmeichelnd. Das frischgebackene Weltnaturerbe der UNESCO trägt seinen Titel völlig zu Recht.
Schwer ächzt der Nadelwald unter der Last des Neuschnees. Nur langsam kriecht die Sonne in das Hochpustertal, löst kleine Schneebomben von den überfrachteten Ästen. Unsere Atemwölkchen leuchten im Gegenlicht. Unsere fleißig wippenden Bretter katapultieren feinen Pulverschnee in die Luft, der im Flackerlicht der Morgensonne regelrecht explodiert. Auch der zweite Streich hinauf zur Alpe Nemes ist eine landschaftliche Romanze. Unendliche gleißende Hänge bescheren uns ein überwältigendes Winter-Wunderland. Wahrlich, die tief verschneiten Dolomiten bieten die perfekte Kulisse für unser Langlauf-Wintermärchen. Die schroffen Gipfel der Dreitausender rund um die Drei Zinnen sind zwar mit den schmalen Brettern kaum zu erreichen, aber die perfekt gespurten Höhenloipen erreichen Zwischengipfel um die Zweitausend-Meter-Marke und nähern sich stets den Felsgiganten an. Auch dieses Sahnestück des Hochpustertals birgt gewaltiges Suchtpotenzial!
Zurück zur Tour: Kaum über der Baumgrenze erstrahlt der Monte Rosso, der Rote Berg untypisch reinweiß. Wie die Spitze eines mit Puderzucker verzierten Croissants ragt sein geschwungener Gipfelaufbau aus den sich schichtweise erhebenden Almen. Der Wind hat feine Linien in die Hänge ziseliert, kleine verspielte Wächten gezaubert. Abermals bleiben unsere Müsliriegel im Rucksack. Auf der Alpe Nemes genehmigen wir uns einen perfekten Cappucino und einen vorzüglichen Apfelstrudel. Ha, der Einkehrschwung ist keinesfalls ein Privileg der Alpinskifahrer. Und diese rustikale Alm bietet bestes Schlemmerkino, denn vor der Terrasse baut sich das komplette Who is who der Sextener Sonnenuhr auf: der Elferkogel, die Sextener Rotwand, der Zwölfer und der enorm steil aufragende Einserkogel..
Klirrende Kälte im tief eingekerbten Fischleinboden. Die bald vier Meter hohen Holzpfosten der großen Anzeigentafel bei der geschlossenen Talschlusshütte spitzen gerade noch aus dem Schnee. Stahlblauer Himmel, die Nummer Drei frisch gespurt – dennoch sind wir ganz allein unterwegs. Die Sextener Hauptloipe führt stets von Bergriesen flankiert schnurstracks durch das Hochpustertal bis nach Innichen. Erst in Niederdorf schultern wir kurz die Ski und folgen der Spur hart südwärts ins Pragser Tal. Auf den Holzstadeln türmen sich gewaltige Schneemassen zu windverfrachteten Elvis Presley-Tollen. Unser Ziel für heute ist das massive Forsthaus am Pragser Wildsee, welches im Abenddunst wie die Kulisse eines Politthrillers wirkt. Hier lässt sich gediegen einkehren und der regelmäßige Busverkehr bringt Wanderer, Langläufer und Skitouristen, die nach der Abfahrt vom Großen Jaufen hier mit dem letzten Schwung über den tiefgefrorenen Wildsee schlittern, wieder zurück zu den größeren Talorten.
Natürlich können wir das Hochpustertal nicht verlassen ohne die weltberühmten Drei Zinnen gesehen zu haben. Jippieh, der Blick aus dem Fenster, lässt uns im Nu aus dem Bett schnellen. Keine Wolke am Himmel – das Hoch hält durch! In Windeseile grasen wir das Frühstücksbuffet ab und springen in’s Auto. Hinter Toblach links ab ins Höhensteinertal. Kurz vor dem Dürrensee erspähen wir die Drei Zinnen erstmals im Vorbeiflitzen. Weiter zum Misurina-See und gleich wieder links hoch zum Lago Antorno. Mit Langlaufskiern kommen wir allerdings nicht nah genug ran. Dieses Mal schnallen wir uns Schneeschuhe an. Schon auf dem Weg hoch zur Auronzo-Hütte verballern wir gewaltig Körner. Aber egal, die Sonne strahlt, absolutes Kaiserwetter und außer uns sind gerade mal eine Handvoll Leute unterwegs. Wir können uns dieses majestätische Dreigestirn, diese wohl meistfotografierte Felstrilogie der Welt, ganz in Ruhe zu Gemüte führen. Die Umrundung der Drei Zinnen ist ein Klassiker und für Schneeschuhfreaks eine absolute Paradetour. Denn im Sommer wimmelt es hier von Ausflüglern. Für Skitouristen ist die Abfahrt wohl zu wenig spannend. Normale Winterwanderer haben hier keine Chance. Selbst wenn sie sich mit dem Schneemobil zur Auronzo-Hütte karren lassen, ist hier Schluss! Das ist unsere Trumpfkarte! Mit den Schneeschuhen erobern wir dieses monumentale Territorium fernab vom üblichen Rummel. Und das Beste daran – es ist kinderleicht! Selbst Leute, die den alpinen Winter sonst nur auf der Couch bei Skirennen im Fernsehen wahrnehmen, haben mit Schneeschuhen Zutritt ins winterliche Gebirge. Alpine Grundkenntnisse über Schnee- und Lawinenkunde vorausgesetzt. Und selbst wenn es daran hapert: für alpine Einsteiger werden mittlerweile viele geführte Touren mit professionellen Guides angeboten. Wir überschreiten den Patternsattel. Jetzt erst entfalten die Drei Zinnen ihre gewaltige Aura. Wir kürzen ab, verzichten auf die Drei Zinnen – Hütte, queren gleich parallel zu den berühmt-berüchtigten Nordabstürzen über die Lange Alm. Hier sind wir mutterseelenallein, bestaunen mit Ehrfurcht und Grausen die ar…glatte Nordwand der großen, mittleren Zinne, die der verrückte oder geniale, wie auch immer Alexander Huber schon im Alleingang ohne jegliche Hilfsmittel durchklettert hat. Wir hocken viel zu lang und stellen mit knurrenden Mägen fest, dass die Auronzo-Hütte schon geschlossen hat… Jetzt sind sie fällig – die mehrfach verschmähten Müsliriegel!
Fakten
Das Hochpustertal gehört zum Weltnaturerbe der UNESCO.
Info: www.hochpustertal.info
Dort gibt es gratis Broschüren mit Langlauftouren, -karten und Höhenprofilen und allen Daten zur Tour de Ski, zu Weltcup-Starts und Volksläufen.
Dolomiti Nordic Ski, www.dolomitinordicski.com
200 Kilometer Loipen gespurt und präpariert bietet alleine das Hochpustertal. Im Verbund mit Dolomiti Nordic Ski schließen sich zehn weitere Ferienregionen in den Dolomiten an und es ergibt sich die größte Langlaufregion Mitteleuropas mit ganzen 1300 Kilometer. Das Langlaufkarussell der Superlative. Dann reichen die Loipen von den Drei Zinnen im Westen und den Talorten der Sella Ronda bis zur Seiser Alm im Osten.
Dank der Mobilcard Südtirol und dem Dolomiti Nordicski – Wochenticket lassen sich fast alle Loipen komfortabel und umweltbewusst erreichen.
Anreise: BAB Kufstein-Brenner, Sterzing, kurz vor Brixen Abfahrt Richtung Bruneck und weiter zu den Talorten des Hochpustertals: Niederdorf, Toblach, Innichen, Sexten, Moos, Fischleinboden. (Sexten ab München: 305 km)
Sämtliche Talorte sind auch mit der Bahn zu erreichen, www.bahn.de. Vor Ort gibt es jede Menge Shuttle- und Taximöglichkeiten, sämtliche Tourenstarts sind auch mit öffentlichen Bussen zu erreichen www.sii.bz.it (auch hier bietet sich die www.mobilcard.info an, die einen günstig zu sämtlichen Ausgangsorten bringt! Tel. 0039-0840-000 741, die Fahrpläne können online eingesehen werden)