„Nebenbei“ ging der Familienvater nicht nur seiner Arbeit als Ingenieur-Ökonom nach, sondern trainierte fleißig weiter. Und es war nicht umsonst: Zwei Tage vor der geplanten Abreise erhielt er tatsächlich grünes Licht für die Reise zu seiner Cousine. Sein Traum vom Vasaloppet würde damit tatsächlich wahr werden! Der lange Atem sollte sich auszahlen! Als er am Freitagabend in Mora eintraf und seine Startnummer abholte, wurde die Fahne der DDR neben der der anderen teilnehmenden Nationen nachträglich gehisst. Die Schweden hatten offenbar so ihre Zweifel, ob der Mann aus Östtyskland seine Ankündigung wirklich wahr macht. Bernd Aschenborn würde heute selbst gerne erfahren, ob es auch andere DDR-Hobbyläufer durch ein Hintertürchen zum Vasaloppet schafften.
Dass er sich an sein Rennen von Sälen nach Mora bis heute gut erinnern kann, hat viele Gründe. Das Wetter gehörte dazu. „Am Start gab es Schneeflocken, die waren fast so groß wie Papiertaschentücher“, sagt er. Doch der Schnee war nass und die Auflage zum Teil sehr dünn. „Wir haben uns die letzten 30 Kilometer durch regelrechte Wasserlachen gekämpft. Es war kein Wunder, dass es eines der langsamsten Rennen jener Zeit (Sieger Jan Ottoson lief 5:09 h) wurde“, sagt Bernd Aschenborn, der wahnsinnig viele Eindrücke mitbrachte, die aber vorsichtshalber fast ausschließlich für sich behielt. „Es war unglaublich schwer, vorher und auch nachher nichts zu erzählen, aber man wusste ja nicht, wer zuhört“, sagt er. Vielleicht hatte er auch einfach nur Glück: „Wenn man weiß, was im DDR-System alles überwacht wurde, ist es für mich heute noch ein Wunder, dass mich keiner kassiert oder hochgehen lassen hat.“
Der Mauerfall im November 1989 kam für Bernd Aschenborn noch rechtzeitig, um mit seiner Frau ausgiebig das Fernweh zu stillen. Plötzlich standen ihm alle Skimarathon-Rennen offen, von denen er bis dahin nur gelesen oder gehört hatte. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass er es bei dem einen Start beim Vasaloppet beließ. „Ich habe fast 100 Läufe auf der ganzen Welt absolviert“, erklärt der Zwickauer. Als er im August 2017 den Ushuaia Loppet in Argentinien finishte, hatte er alle 20 Worldloppets zusammen. Hinter jeder Medaille und Urkunde steckt eine andere Geschichte: Beim American Birkebeiner durfte er zum Beispiel 1992 die Deutschland-Flagge tragen. Beim Rennen auf Spitzbergen wurde das Feld mit Waffen vor Eisbären geschützt. Und beim Arctic Circle Race auf Grönland war er nach der ersten von drei Etappen kurz davor auszusteigen, weil er sich Erfrierungen im Gesicht zugezogen hatte. Doch er zog auch dieses Rennen durch.
Ab sofort lässt es Bernd Aschenborn, der für den VSC Klingenthal startet und zwischenzeitlich auch einige Jahre die Skilanglaufserie des Deutschen Skiverbandes leitete, in der Loipe ruhiger angehen. Für diesen Winter hat er die Chiemgau-Trophy im Plan. „Keine Zeitnahme, freie Stilwahl und wunderschöne Kulisse“, begründet er. Dennoch möchte der Rentner auch die vielen Wettkämpfe seiner Laufbahn nicht missen. „Es ging mir in erster Linie immer darum, etwas für meinen Körper zu tun. Ich habe dabei viele großartige Leute kennen gelernt und viel von der touristischen Welt gesehen. Wenn man so viel rumkommt, schärft das aber auch die Sinne, dass viele Menschen in Verhältnissen leben, die in Deutschland undenkbar sind. Und es wird einem auch klar, dass Deutschland nicht der Nabel der Welt ist.“
Monty Gräßler (Jahrgang 1972) ist Lokalsportredakteur bei der „Freien Presse“ im Vogtland und begeisterter Hobby-Skilangläufer. Mit „Wahnsinn Wasalauf“ hat er das erste deutschsprachige Buch über den legendären Vasaloppet in Schweden geschrieben. Es sind aber längst noch nicht alle „Wasalauf-Geschichten“ erzählt und kommen stets neue hinzu. Eine Auswahl davon gibt es regelmäßig in dieser Kolumne. Mehr zum Buch und eine Bestellmöglichkeit findet ihr hier: www.wahnsinn-wasalauf.de