Antwort auf: Volksläufe (klassisch): Ski mit oder ohne Steigwachs!?

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Thomas Oestreich
Moderator

Dann möchte ich auch meinen „Senf“ dazu geben 😉

1. Zielsetzung: Es ist legitim sich das Ziel zu formulieren z.B. den Vasalauf „durchzuschieben“. Dafür kann man trainieren und das kann man dann entsprechend durchziehen. Für mich geht es bei einem Skilanglaufrennen aber darum, in möglichst kurzer Zeit auf regelkonforme Art und Weise vom Start zum Ziel zu kommen. Die Wahl der Mittel ordnet sich dieser Zielsetzung unter.

2. Mode: Die Entscheidung zwischen Skiern mit und ohne Steigwax ist ein Stück weit eine Modefrage. Es ist es noch gar nicht so lange her, seitdem plötzlich „alle“ meinten Skirennen „durchschieben“ zu müssen. Ich habe ein norwegisches Buch über das Skiwaxen von den Auklands und da schreiben sie in der Einleitung zum Kapital „Steigwax“ Folgendes:

„In den letzten Jahren ging es unter den allerbesten Spitzenläufern darum einzelne Langdistanzrennen auf glatten Skiern zu gehen. Vorläufig ist der Gebrauch von Steigwax dominierend und etwas weiter hinten in den Reihen geht es selten um etwas anderes, als Ski mit Steigwax, unbesehen des Loipenprofils und den Schneebedingungen.“

Das Buch liegt mir in der dritten Auflage von 2014 vor – es handelt es sich also nicht um eine Aussage aus einem anderen Jahrhundert! Und sind wir Amateure im Jahr 2022 soviel besser, als die im Text Beschriebenen!? Auklands & Co. würden natürlich zwischenzeitlich nicht von einer „Mode“, sondern schon eher von einem Dogmen-Wechsel sprechen, der gekommen ist um zu bleiben.

3. Fehlschluss: Ja – es ist so, dass Skimarathons in den letzten Jahren nur noch ohne Steigwax gewonnen worden sind. Man begeht m.E. jedoch einen Fehlschluss, wenn man daraus ableitet, dass Doppelstock (DP) für Jedermann die schnellere Technik sei.

Profi-Sportler haben andere Voraussetzungen in Bezug auf Ausdauer, Kraft, technischem Können, Material, Betreuung, etc. Was dort unter Umständen die schnellste Lösung ist, muss für einen Amateursportler noch lange nicht die schnellste Lösung sein. Und es gibt noch einen anderen wesentlichen Unterschied: Bei den besten Athleten geht es ums Gewinnen – nicht um die bestmöglichste Zeit! Man nimmt es dann z.B. in Kauf, dass man an den Anstiegen des Vasalaufes Zeit verliert, weil es wichtiger ist auf den letzter Kilometern eine schnellen Ski zu haben und einen möglichen Zielsprint gewinnen zu können.

Wenn ich im Fernsehen bei der Tour de France sehe, mit welchen Übersetzungen und Kurbeln dort an den Alpenpässen gefahren wird, dann komme ich ja auch nicht auf die Idee zu sagen, dass meine Kompaktkurbel mich langsam an den Bergen machen würde und dass ich mit „Heldenkurbel“ und entsprechender Übersetzung schneller wäre!?

4. Technische Herausforderung der Klassischen Technik: Meine Vorredner haben es angesprochen, dass es nicht so leicht ist diagonal sauber und gewinnbringend zu laufen. Der Großmeister Klæbo sagt in seinen Technikvideos, dass die diagonale Technik die anspruchsvollste im Skilanglauf sei. Ich erinnere mich an Tischgespräche in der Jugendherberge in Pontresina vor dem „La Diagonela“. Da wurde klar, dass es viele Sportler gibt, die DP laufen, weil sie nichts anderes können – nicht weil es schneller ist.

5. Herausforderung Steigwaxen: Carsten hat es bereits angesprochen, dass das Steigwaxen eine Herausforderung ist. Da kommt bei der Skipräparation eine „weitere Baustelle“ hinzu. Es handelt sich um ein Handwerk, das man üben muss, um es zu beherrschen. Manchmal klappt es und man fühlt sich wie der „King“ und einen Tag später kann man sich schon wieder wie der größte Trottel fühlen, wenn man mit einem glatten Ski an einem Anstieg wie eine Ente rumwatschelt 😮 Und dann wird man ganz schnell zum „Schieber“ – ob man es will oder nicht 😉 Es gibt natürlich auch Bedingungen, bei denen es einfach schwierig ist zu waxen (z.B. die berühmt-berüchtigten „Zero-Conditions“ oder wechselnde Bedingungen auf einer langen Strecke).

6. Bremswirkung Steigwax: Dies war vielleicht einer der Hauptgründe, warum man angefangen hat auf das Steigwax zu verzichten? Was bergauf „bremst“ bzw. Stieg gibt, kann potentiell auch bergab bremsen oder im DP zumindest ein „träges Gefühl“ geben. Soweit so gut. Aber da fehlt mir etwas die Erfahrung bzw. die Vergleichsmöglichkeit: Verliert man mit einem gut oder kurz gewaxten Ski wirklich viel Gleitvermögen? Wie sind Eure Erfahrungen?

7. Training und Können: Ein alter Trainingsgrundsatz sagt „Du kannst, was Du trainierst.“ Von daher ist es schwierig herausfinden zu können, ob gewaxte oder „glatte“ Ski wirklich schneller sind. Die Langdistanz-Profis trainieren nur noch DP. Wenn dann jemand wie Eliassen vor einigen Jahren beim La Diagonela doch wieder einen Steigwax-Ski testet, dann weiß man nicht, ob der Mißerfolg daran lag, dass der Steigwax-Ski einfach langsamer war oder dass Eliassen einfach nicht mehr genug Übung in der diagonalen Technik hatte!? Und was für Eliassen und andere Könner gilt, gilt für einen Amateur wie mich umso mehr: Ich muss das trainieren, das ich anwenden möchte.

8. Problem Technikwechsel: Wenn ich in einer Technik lange unterwegs bin fällt es mir leider schwer in eine andere zu wechseln. Beispiel: Ich bin viele Kilometer im DP unterwegs und komme dann schon ein bisschen müde und „steif“ an einen Anstieg und möchte in die Diagonal-Technik wechseln. Dann läuft das leider zunächst unrund und wackelig und ich bekomme schwer Stieg 🙁 Auf der anderen Seite bin ich versucht mich in Anstiegen im DP zu schonen, wenn ich Steigwax unter den Skiern habe. Wenn ich keines hätte, gäbe es keine Alternative und ich würde zügig durchziehen und wäre evtl. schneller unterwegs?

8. Einseitige Belastung und Gesundheit: Auch wenn ich in einem Skilanglaufrennen möglichst schnell sein möchte, so mache ich das trotzdem zum Spaß und für meine Gesundheit. Man hört nicht soviel davon, aber auf Nachfrage erfährt man dann schon von dem einen oder anderen Athleten, dass er hier und da seine „Wehwehchen“ hat. Einseitiges DP-Training kann m.E. nicht gerade gesund sein (z.B. Ellenbogen, Rücken, etc).

9. Abwägung von Kosten und Nutzen: Ich bin mir äußers unsicher, wie stark die Vor- und Nachteile von „glatten“ Skiern de facto sind. Gehen wir davon aus, dass ich beim Gleitvermögen einen deutlichen Vorteil habe. Die Gegenfrage muss dann aber sein, wieviel ich in den Anstiegen an Zeit und Kraft durch die deutlich höhere Belastung verliere? Und wie wirkt sich dies auf meine Performance in den einfachen Passagen aus, die eindeutig „DP-Gelände“ sind!? Meiner Erfahrung nach ist man als Amateur in der diagonalen Technik im Anstieg nicht mega-viel schneller, als im DP. Aber was kommt danach!? Carsten hat es ganz prägnant gesagt: „Am Ende kackt die Ente“ Fragt sich nur noch, ab wann und wieviel die Ente „kackt“!?

10. Ästhetik: Als ich jung war fand ich die klassische Technik peinlich – eine „klassische Opa-Technik“. Mittlerweile sehe ich das anders. Die diagonale Technik hat schon etwas von Eleganz!Wenn sich hingegen jemand mühevoll im DP die Berge hoch quält, dann ist das selten ästhetisch 😉 Auf der Flüela-Loipe (Davos) haben sie mir bei so einer Gelegenheit hinterher gerufen: „Was habt ihr gewaxt!?“ Wie gesagt: Tempo zählt – aber man muss sich ja nicht zum Affen machen, nur weil man meint wie die Profis unterwegs sein zu müssen 😉 Und ich erinnere mich an einen älteren Herrn, der schon auf den ersten 10 – 20 km beim Vasa bei jedem Anstieg gestöhnt hat, als würde er gleich einen Herzinfarkt bekommen. Das ist weder schön, noch kann es gesund sein oder Spaß machen.

11. Regel-Konformität: Auch das wurde bereits angesprochen. Mich stört es zutiefst, wenn Leute meinen nur DP schieben zu müssen – es aber nicht können oder wollen und dann mogeln. Auch im Profi-Bereich ist man da m.E. nicht konsequent genug. Ich verweise z.B. auf den super-schnellen Vasalauf 2021. DP ist ok – dann aber bitte richtig und zwar für alle! Ansonsten muss disqualifiziert werden.

12. Streckenprofil und Wetter: Selbstverständlich spielt beides in die Entscheidung mit ein und ungünstiges Wetter kann auch aus einer „leichten Loipe“ eine ziemliche Herausforderung machen. Wenn die Spur fest und schnell ist, sind weitaus steilere Anstiege im DP zu schaffen, als bei schlechter und langsamer Spur. Das Problem ist für mich allerdings, dass ich mich schon im Frühjahr und Sommer entscheiden muss, was ich trainiere, um es im Winter dann auch abrufen zu können.

 

Das waren jetzt ziemlich viele Gedanken und Überlegungen – was jetzt aber wirklich „besser“ und schneller für mich und viele andere Volksläufer ist – das frage ich mich immer noch!