- Posted in: Material
Hallo,
bin ja neu hier und werde deswegen gleich 3 Themen auf einmal los.
Was mich seit Jahren in Sachen Material beschäftigt:
Warum hat die Industrie in dieser Sportart im Gegensatz zu anderen nicht erkannt, wie ein funktionell geformter Schuh auszusehen hat? Z.B. die Radindustrie hat da in den letzten Jahren eine steile Lernkurve hingelegt und produziert breite Zehenboxen, damit der Fuß sich anatomisch korrekt im Schuh “verstauen” lässt.
Es geht nicht um einen weiten Schuh am Ballen, sondern um einen einigermaßen V-förmig geformten Schuh, der an der Spitze der Zehen am weitesten ist. Siehe Radschuhe von Bont, Mik.Fit Cycling und S-Works.
Würde im LL den Abdruck verbessern, für mehr Stabilität / sicheren Stand sorgen und Probleme mit der Plantarfaszie (Sesamoiditis, Fersensporn, Achillodoinitis) verhindern.
Hier mal die Erklärung zum Windlass Mechanismus.
Das erfordert aber eine gerade Stellung des ersten Zehenstrahl von der Ferse bis zur Großzehenspitze.
Hier mehr Background.
In Zeiten, wo es in allen Sportarten um Marginal Gains geht, verstehe ich nicht, warum das nicht in diesem Sport ankommt. Weniger Verletzungen und vor allem Free Energy, weil die Strukturen erst aufgeladen werden und sich dann in Vortrieb entladen.
Mit dem Wissen hätte eine Nicole Fessel ihre Karriere sicher fortsetzen können.
Wichtig ist auch, dass man auch im Alltag nicht modische, sondern funktionelle Schuhe trägt.
Wer mal ein anatomisch richtiges Bewegungsmuster sehen will, kann sich mal dieses einmalig schöne Laufvideo anschauen und auf Beinachsen und Fußstellung sowie Bewegungsfreiheit der Zehen achten. Dann wird klarer, worum es geht. 100.000 Meilen ist er so gelaufen – ohne jede Verletzung.
Wie seht ihr das? Hat jemand Kontakt zur Industrie? Warum kommt es da nicht an? Ich will endlich im Diagonal richtig abrollen können…
-
Dieses Thema wurde geändert vor 1 Monat, 1 Woche von
Heiko W.
Servus Heiko,
ich habe deine Anfrage mal an Fischer weitergeleitet und folgende Antwort von deren Schuhentwickler Hannes Kogler bekommen:
Tja, spannendes Thema. Aber wie immer ist die Theorie das eine und die Praxis schaut dann eben anders aus. Wir müssen die Schuhe so bauen, dass sie zumindest 80-90% zu den Füßen unserer Kunden passen. Und der Durchschnittsfuß ist in der Realität eben weit weg von der Idealform. Die gibt es praktisch nur mehr bei Kleinkindern.
Mal angenommen: Wir bauen einen Schuh mit V-Form, dann wäre zu viel Platz bei den Zehen und damit verbunden eine geringere Kontrollierbarkeit der Ski. Zusätzlich gäbe es massive Vorbehalte gegen die Optik.
Warum bauen die großen Laufschuhhersteller keine derartigen Schuhe? Gerade hier würde es noch mehr Sinn machen, da Laufschuhe im Verhältnis mehr Stunden als LL-Schuhe getragen werden.
Also beschreiten wir den moderaten Weg, die Zehenboxen etwas breiter zu gestalten und sich so vielleicht langsam an eine theoretisch idealere Schuhform anzupassen.
Und selbst hier haben wir von einigen Spitzenathleten die Anforderung, die Zehenboxen wieder enger zu machen, weil sie sonst zu wenig Kontakt zum Schuh haben.
Oder sie gehen gleich auf eine Nummer kleiner und bitten uns die Länge etwas zu strecken.
Also nicht so einfach etwas Gutes zu tun und dafür auch die Lorbeeren zu bekommen.
Da haben es Nischenhersteller einfacher.
Ich kann Hannes da bzgl. der Kontrollierbarkeit nur zustimmen. Das ist bei Laufschuhen kein Thema, da diese ja nicht wie Ski über den Fuß nach vorne und hinten hinausragen. Ich hätte da große Bedenken, dass sich der Ski noch akkurat steuern lässt, wenn die Zehenbox in Richtung Barfuß-Schuh erweitert würde.
Klasse, Mario. Vielen Dank. Die Position der Industrie – zumindest was den Spitzensport betrifft – verstehe ich nun.
Nicht verständlich ist aber, warum Profis die entscheidende Schnittstelle zum Kraftübertrag so vernachlässigen. Ein “High Gear Push Off” bei aktiviertem Quergewölbe und Nutzung Windlass-Mechanismus generiert doch so viel mehr Vortrieb. Letzterer entsteht nur bei intakter Meyer´s Line, d.h. u.a. geradem 1. Zehenstrahl (Großzehenglieder sind die Verlängerung des 1. Mittelfuß-Strahls). Nur so läuft die Verlängerung der Plantarfaszie über die Sesamknochen und wird entsprechend vorgespannt. Gleiches gilt für die Achillessehne (Verspannung und Entladung in Vortrieb).
Also – provokant gefragt: Wie kann man sich Profi nennen, wenn man nicht alles daran setzt, wieder einen funktionalen Fuss zu bekommen, der die von der Evolution vorgesehen effizienten Mechanismen nutzt? Stichwort Free Energy…
Und weiter: Warum laufen Profis privat 100% ihrer Zeit in modisch dominierten Schuhen rum? Die vereinen idR mehrere Übel: Elevated Heel, Toe Rocker, Tapered Toe Box und keine Propriozeption des Untergrunds. Solche Athleten tun einfach nicht genug für den Erfolg.
Ich hatte durch Sportklettern auch einen ziemlich verkorksten Fuss. Nach 2 Jahren täglich barfuss durch die Wälder/Wiesen und täglich 1h Fußübungen habe ich wieder einen funktionalen Fuß mit V-Form bekommen. Das habe ich mit 47 begonnen nach Jahrzehnten Verstoß gegen anatomische Prinzipien.
Falls Dich das jetzt auch interessiert: Wenn Du irgendwann mal auf einen relevanten Trainer triffst, kannst Du das ja mal andiskutieren.
Du kannst auch mal einen Test machen: Lege Deine Hand 2x mal flach auf einen Tisch: 1x Finger spitz zusammen wie in einem tapered Schuh und 1x mal mit ausgespreizten Fingern. Dann versuche die Hand um die Längsachse zu rotieren. Welche Variante bietet mehr Stabilität? Jetzt denke man mal nur an Sportarten wie Shorttrack-Eisschnell, wieviel mehr Stabilität und Präzision da möglich wäre…
Grüße vom Anatomie-Nerd 😉
Anbei noch theoretischer Background:
Nerd triffts glaube ich ganz gut! 😉 Du hast dich da ja ganz schön eingearbeitet in die Materie!
Allerdings bleiben zwei Punkte aus dem “Industrie-Statement” bestehen. Zum einen: Warum hat sich das Thema dann noch nicht mal in der Laufszene komplett durchgesetzt? Wenn es, wie von dir geschrieben, derartige Vorteile bringt, müsste doch jeder Laufprofi mit Barfußschuhen unterwegs sein.
Und Punkt 2: Wir sind halt im Skilanglauf nicht nur Läufer, sondern auch Abfahrer. Bei Ski Alpin Profis würde denke ich keiner auf die Idee kommen, Barfußschuhe zu fordern.
- Du musst angemeldet sein, um auf dieses Thema antworten zu können.