Harvey, Alex (CAN) – Portrait

Alex Harvey © NordicFocus/www.nordicfocus.com

Steckbrief

Name: Alex Harvey
Geburtstag: 07. September 1988
Geburtsort: Saint-Ferréol-les-Neiges
Wohnort: Saint-Ferréol-les-Neiges
Verein: Club Nordique Mont Ste-Anne
Beruf: Teilzeit-Student (Jura)
Größe: 184cm
Gewicht: 75kg
Familie: Vater Pierre, Mutter Mireille, zwei Schwestern
Sprachen: Französisch, Englisch
Hobbies: Zeit mit Freunden verbringen, Musik, Kino, Mountainbike
Homepage: www.alexharvey.ca

Großes Talent durch Vater – aber auch viel Druck

Alex Harvey ist zusammen mit Devon Kershaw das aktuell größte kanadische Langlauf-Talent, das auch das Zeug dazu hat, um Weltcupsiege mitzulaufen. Sein Talent hat er von seinem Vater Pierre Harvey geerbt, dem besten kanadischen Langläufer aller Zeiten. Vater Pierre feierte in seiner Laufbahn drei Weltcupsiege und war sowohl als Langläufer bei Olympischen Winterspielen als auch bei Sommerspielen als Radfahrer dabei. Alex Harvey wuchs aufgrund seines familiären Umfelds quasi schon auf Skistrecken auf. Da er in Saint-Ferréol-les-Neiges bei Quebec direkt neben einer Loipe lebte, nahm sein Vater ihn schon mit drei Jahren im Baby-Gleiter mit auf Langlauf-Tour und ließ ihn zwischendurch auch selbst 15-20 Minuten auf Skiern laufen. Schon von Klein auf fühlte sich Alex auf Langlaufstrecken und den Radstrecken der Umgebung wie zu Hause. Auch Alpinski fuhr er als Kind viel, er nahm Trainingsstunden für Alpin am Samstag, tags darauf Langlauf-Trainerstunden. Zwar mochte er beides, bevorzugte aber den Langlauf, weil er sich selbst pushen konnte. Als die Medien erfuhren, dass dort ein kleiner Harvey heranwuchs, der in die Fußstapfen des Vaters treten wollte, wuchs der Druck auf ihn mehr und mehr. Jeder erwartete Siege, aber seine Konkurrenten waren damals meist viel größer als er. Als er als Zwölfjähriger bei einem regionalen Rennen bei Quebec nur Siebter wurde und die Medien über ihn herfielen, beraumte seine Mutter schnell eine Pressekonferenz an, die für lange Zeit die letzte sein sollte. Als er älter wurde, startete er mit viel Siegeswillen und der Druck war wie weggeblasen.

Ständige Steigerung

Nachdem er den Erfolgsdruck abgeschüttelt hatte, steigerte er sich schnell in seiner Leistung und kam auch in der Schule gut zurecht, wo er an einem Programm teilnahm, mit dem er Schule und Training gut unter einen Hut bringen konnte. So entwickelte er sich zum stärksten kanadischen Junioren, den es jemals gab. Er wurde 2005, 2006 und 2007 kanadischer Juniorenmeister und gewann 2006 als 17-Jähriger sogar schon Gold in der Seniorenklasse. Zur selben Zeit war Alex vornehmlich im Nor-Am-Cup unterwegs und reiste zum Saisonende erstmals nach Europa: Im finnischen Rovaniemi wurden 2005 die Junioren-Weltmeisterschaften ausgetragen, wo er als 16-Jähriger aber noch nicht vorn mitmischen konnte. Ein Jahr später kam er in Kranj immerhin schon zweimal unter die besten 20.

Erfolgreiche Junioren-WM 2007 und 2008

In der Saison 2006/2007 erreichte er im Nor-Am-Cup regelmäßig Top10-Platzierungen, einen Sieg konnte er jedoch noch nicht realisieren. So standen als nächstes großes Highlight die Junioren-Weltmeisterschaften 2007 in Tarvisio auf dem Programm, wo er sensationell zweimal Bronze gewann: Damit war er erst der zweite kanadische Junior nach Marie-Josée Pépin 1989, der Edelmetall bei einer JWM im Langlauf gewann. Im Jahre 2008 reiste Alex Harvey schon sehr frühzeitig nach Europa, um dort vor den Junioren-Weltmeisterschaften in Südtirol einige Rennen zu bestreiten. Dazu zählten auch seine ersten beiden Weltcups in Otepää und Liberec, wo er die Punkte aber noch deutlich verpasste. Sein großes Ziel waren die Junioren-Titelkämpfe in Mals, wo er Vize-Weltmeister im Klassikrennen wurde. Außerdem wurde er zweimal Vierter. Nach dem Triumph war er verständlicherweise überglücklich, wie er damals einer kanadischen Zeitung mitteilte: „Ich war immer nur der Sohn von Pierre, nun kennt man endlich auch meinen Vornamen“, freute er sich, obwohl er wegen Problemen mit seiner linken Beinarterie nicht sein volle Leistung abrufen konnte.

Erstes Weltcup-Podium vor heimischem Publikum

Im Folgewinter blieb der Frankokanadier zunächst wieder in der Heimat und bestritt Nor-Am-Rennen in Kanada, bis im Januar im Whistler Olympic Park der Test-Weltcup vor den Olympischen Spielen anstand. Im Sprint verpasste er zwar um einen Wimpernschlag als 31. die Viertelfinals, ergatterte aber nach einer späteren Disqualifikation dennoch noch seinen ersten Weltcuppunkt vor heimischem Publikum. Tags darauf überzeugte er in der Doppelverfolgung als 30., bevor am Sonntag die Teamsprints ausgetragen wurden. Vor den Augen seines Vaters, der dort als Stadionsprecher aktiv war, schaffte er mit seinem Kollegen George Grey sogar hinter Schweden und Italien den Sprung aufs Podium. Völlig überwältigt jubelte Pierre Harvey über den Stadionlautsprecher: „Ich wusste, dass er gut ist, aber nicht so gut!“

Podium am Holmenkollen

Beflügelt von dem Erfolg trat der 20-Jährige die erneute Reise nach Europa an, wo er bei den U23-Weltmeisterschaften als Vierter und Fünfter zweimal Edelmetall knapp verpasste. Dennoch ging er frohen Mutes in die Weltmeisterschaften von Liberec, wo er als bestes Resultat einen 22. Platz erreichte. Beim anschließenden Weltcup lief er erneut in die Punkte und überraschte dann völlig in Oslo. Beim Weltcup am traditionellen Holmenkollen wurde er im 50 Kilometer Klassik-Massenstart sensationell Dritter hinter Sami Jauhojärvi und Tobias Angerer, obwohl Harvey eigentlich eher die Skatingtechnik bevorzugt. Auch bei der Mini-Tour in Schweden zeigte er sich mit mehreren Top10-Ergebnissen in Topform, so dass er als Gesamt-Sechster abschloss.

Querelen um Kaderstatus

Es verstand sich von selbst, dass der Frankokanadier nach diesen tollen Leistungen zur Nationalmannschaft der Kanadier gehören musste. Als er aber darum bat, die Reisen zu gemeinsamen Trainingslagern einschränken und das erste Treffen im Frühsommer 2009 auslassen zu dürfen, drohte ihm der Verband an, ihn im B-Kader zu belassen. Also trat Harvey doch den weiten Weg von der Ost- an die Westküste Kanadas an und man bot ihm an, ihn für das vierte und letzte Trainingslager im Herbst freizustellen, wenn er stattdessen zusammen mit Läufern des Quebec Trainingscenters ein Gletschertraining in Österreich absolviert. So gehörte Alex Harvey im Olympischen Winter erstmals von Beginn an zum Weltcupkader der Kanadier. Gelegentlich ließ er sein Talent aufblitzen und wurde zum Beispiel 22. bei seiner ersten Tour de Ski mit 21 Jahren. Den Höhepunkt seiner Form in dieser Saison erreichte er ausgerechnet zu den Olympischen Spielen, die ohnehin seit Jahren sein großes Ziel gewesen waren, nachdem sein Vater 1988 in Kanada seine olympische Karriere beendet hatte. Alex begann als 21. im Freistilrennen, wurde dann starker Neunter in der Doppelverfolgung und verpasste dann eine Medaille mit Devon Kershaw im Teamsprint nur knapp als Vierter.

Zweimal Gold im Jahre 2011

Der Winter 2010/2011 war seine bisher beste Saison gekrönt von zwei Weltmeistertiteln. Alex Harvey reiste extra für die Doppelverfolgung am Schlusstag der U23-Weltmeisterschaften aus dem Trainingslager in Livigno in Estland an und sicherte sich nach einem spannenden Kampf den Titel. Zuvor lieferte er vor allem bei der Tour de Ski sehr gute Leistungen ab, die er schließlich als guter Zehnter beendete. Bei den Weltmeisterschaften in Oslo strebte er eine Medaille an, doch „es ist schön, sagen zu können, dass ich schon einmal Weltmeister war und das kann mir niemand mehr nehmen.“ Dass es dann ganz anders kommen sollte, hätte er wohl niemals erwartet. Nachdem er schon im Sprint in Drammen als Zweiter seine starke Form bewiesen hatte, schrieb Alex gemeinsam mit Devon Kershaw im Teamsprint von Oslo kanadische Sportgeschichte: Beide zeigten eine erstklassige Leistung und sprinteten die Favoriten nieder – im Ziel konnten sie über die erste WM-Goldmedaille aller Zeiten für einen kanadischen Langläufer jubeln. Zudem wurde er noch starker Fünfter über 50 Kilometer und Siebter im Sprint.