Meine erste Teilnahme am Jizerska 50 war ein kleines Abenteuer. Von Großstadtfeeling, Weltcupatmosphäre, traumhafter Winterkulisse, Sonne, Sturm, überfüllten Loipen und dem mittlerweile fast schon üblichen Wetterchaos, war alles dabei. Aber von vorne.
Am zweiten Februar-Wochenende startet jährlich das große Skifestival im tschechischen Isergebirge. Das Hauptrennen am Sonntag, 50km klassisch, zählt seit einigen Jahren zur Visma Ski Classics Serie und ist zudem eines der größten europäischen Skimarathonrennen mit einer bedeutenden Tradition. In diesem Jahr startete neben den Skimarathonprofis wie Tord Asle Gjerdalen, Britta Norgren, Katerina Smutna etc. auch Petter Northug und dessen Bruder. Der Isergebirgslauf wurde 1968 zum ersten Mal offiziell als Vorbereitung auf Hochgebirgstouren des TJ Lokomotiva Liberec ausgetragen. 1970 fand der Wettkampf dann bereits das dritte Mal statt und blieb in trauriger Erinnerung, da fünfzehn der damals Startenden bei einer Expedition in Peru durch einen Erdrutsch ums Leben kamen. Seitdem wird das Rennen als „Memorial Expedition Peru 70“ ausgetragen und jährt sich in diesem Jahr zum 50. Mal. Zu diesem Anlass erhielten die diesjährigen Starter eine Münze, auf der die Namen der Verunglückten eingraviert sind.
Nach einem erfolgreichen, schneereichen Memorial-Lauf sah es aber eine Woche vor dem Wettkampf nicht aus. Zwar lag zwei Wochen vorher auf fast allen Teilen der Strecke noch ausreichend Schnee, um ein Rennen in voller Länge abhalten zu können und es kam sogar nochmal etwas Neuschnee dazu. Doch ausgerechnet am Wochenende vorher regnete es stark, so dass Großteile der Strecke wieder frei von Schnee waren. Die Organisatoren reagierten schnell, veröffentlichten am Sonntag eine alternative vier Kilometer Runde, auf der in elf Startgruppen über das ganze Wochenende verteilt gestartet werden könnte. Am Montag konnte sich dann jeder für eine Startgruppe entscheiden und anmelden. Jedoch folgte in den nächsten Tagen massenweise Schnee und der alternative Plan musste zum Glück nicht umgesetzt werden. Somit konnten alle Rennen wie geplant stattfinden. Kinderrennen und Skatingrennen am Freitag, 25km klassisch und eine Staffel am Samstag sowie das große 50iger Rennen am Sonntag.
Trotz einiger Läuferstimmen, die mich vor der schweren Strecke warnen wollten, hielten sie mich von meiner ersten Teilnahme am Jizerska 50 nicht ab. Ich reiste am Samstagmittag an und holte zuerst meine Startnummer ab. Diese gab es an einem ungewöhnlichen Ort für ein Skirennen: in einem großen Einkaufscenter in Liberec. Am Samstagabend fand in Liberec zudem noch eine Party vor dem Rathaus statt und auch die Tage zuvor war da einiges an Programm geboten. Dieses Großstadtfeeling war ein starker Kontrast zu dem, was mich am nächsten Tag erwartete. Ganz schön aufgeregt und gespannt begab ich mich Sonntagfrüh Richtung Start. Gut 20 Minuten Autofahrt liegt Bedrichov, ein typisches Isergebirgs-Dorf, von Liberec entfernt. Auf dem Weg dort hoch hatte man immer wieder phantastische Ausblicke auf das schneefreie Liberec und die umliegenden Berge. Dazu kam noch das gute Wetter, Sonne und Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt. Das stimmte mich schon mal sehr zuversichtlich.
Gut 5.000 Läufer sollten mit mir starten, dementsprechend war schon einiges los im Start-/Zielbereich. Sportfirmen, Automarken und Lebensmittelhersteller hatten ihre Zelte aufgebaut und natürlich wirkte durch den Ski Classics Truck alles noch professioneller. Ich startete in Startgruppe 3, das hieß 20 Minuten nach dem Start der Damen-Elitegruppe. Natürlich war da das Gedränge in meiner Startgruppe schon groß, dennoch war das lange Warten erträglich, da neben uns die Videoleinwand aufgebaut war und ich somit alles was vor uns passierte, mitverfolgen konnte. Um 9:10 Uhr ging es dann für mich los. Ich erwartete eigentlich einen relativ hektischen Start, jedoch war es dann doch ganz entspannt, da jeder die Ski im Startkorridor anschnallen konnte wo und wann er wollte. Dadurch entzerrte sich zumindest auf den ersten 500 Metern das Starterfeld etwas. Jedoch folgten die nächsten zehn Kilometer, die stetig bergan gingen, an denen wir in drei Reihen, wie an einer Perlenschnur aufgereiht liefen. Es war ein sehr unrythmisches Laufen und als ich das 10-Kilometerschild sah, dachte ich, ich sei schon Ewigkeiten unterwegs. Es dauerte bis Kilometer 20 bis sich das Läuferfeld etwas lockerte und ich es endlich schaffte, ein für mich angenehmes Tempo zu laufen.
Ab da machte es Spaß und meine Motivation und Freude stieg. Ich kam am östlichsten Punkt der Strecke und der Verpflegung in Jizerka vorbei. Auf der freien Hochebene strahlte die Sonne und viele Zuschauer mit Plakaten, Trommeln und Ratschen sorgten für gute Stimmung. Die nächsten Kilometer verliefen kupiert durch den Wald mit immer wieder kurzen Blicken auf freie Lichtungen. Aber ab Kilometer 29 erwartete mich dann ein sehr langer, steiler Anstieg, an dem kaum noch eine Spur zu finden war. Ich merkte schon nach einigen Metern, dass mein Ski fast gar nicht hielt und es keinen Sinn machte, mich mit viel Kraft über den Anstieg zu quälen. Daher entschied ich mich, das Tempo herauszunehmen und in Ruhe den steilen Aufstieg im Grätschschritt zu bewältigen. Mir erschien der Anstieg als würde er nicht enden wollen. Nach über einem Kilometer wurde es etwas flacher. Dafür kamen wir auf eine freie Fläche, über die der Wind fegte, der die Spur eisig machte, wodurch der Ski natürlich noch weniger Halt fand. Aber zum Glück waren das nur ein paar Meter. Danach folgte ein langer, leicht bergab führender Streckenverlauf. Ich konnte endlich wieder Gas geben und gleichzeitig die traumhafte Landschaft genießen.
Weite Lichtungen, Bäume, die mit Schnee bedeckt waren, Blick in die Täler und Sonne gestalteten eine wahre Traumkulisse. Fast unvorstellbar, dass eine Woche zuvor kaum Schnee lag. Mit diesem positiven Feeling lief ich Kilometer um Kilometer. Endlich erreichte ich die Kilometermarke 40 und spürte die Vorfreude bei fast allen Läufern, da wir ja bald das Ziel erreichen würden. Es entstand regelrecht eine Unruhe um mich herum, wozu sicherlich auch der stark aufkommende Wind in diesem Streckenabschnitt beitrug. Es wurde ein kleiner Kampf gegen den starken Gegenwind und die eisigen Schneebrocken die von den Bäumen fielen. Jeder wollte schnellstmöglich raus aus diesem Abschnitt. Und endlich kam das Schild „noch 2km bis zum Ziel“ ins Blickfeld. Am liebsten hätte ich mich schon dort in den Schnee gelegt, aber die Vorfreude auf den Zieleinlauf setzte die allerletzten Kräfte in mir frei und ich erreichte nach vier Stunden ziemlich kaputt, aber auch super happy das Ziel, wo ich eine riesige Glasmedaille umgehängt bekam. Bemerkenswert war dabei die hohe Zuschauerzahl auf der Zielgeraden und auf der eigens dafür aufgebauten Tribüne.
Alle, die mich vor dem Rennen vor der schweren Strecke warnen wollten, gebe ich hiermit Recht. Es war wirklich ziemlich hart und die schwierigen Schneebedingungen, die von eisig, glasig bis nass reichten, machten es natürlich nicht leichter. Dennoch war es ein typischer Mittelgebirgslauf, der hochprofessionell organisiert war. Die Stimmung im Ziel und vor allem auch an der Strecke war einfach einmalig und trotz der hohen Teilnehmerzahl hat es riesig Spaß gemacht, das Isergebirge so zu erkunden!
Autorin: Wiebke Greßmann