In einer ausführlichen Begründung hat die IOC Untersuchungskomission um Denis Oswald ihre Entscheidung im Fall des 50 Kilometer Skilanglauf-Olympiasiegers Alexander Legkov näher erläutert. Die Urteilsbegründung ist die Erste gegen einen russischen Athleten, der in die Vorfälle von Sochi 2014 verwickelt sein soll und dürfte daher Vorbildcharakter für die übrigen Urteile haben.
McLaren Reports „hochgradig relevant“
Da das ausführliche Urteil gegen Alexander Legkov anscheinend als Präzedenzfall genutzt werden soll, wurde seitens der Oswald-Komission noch einmal klar erläutert, welchen Weg der Beweisführung man gewählt hat und warum. Unter anderem wurde klargestellt, dass man die beiden Reports von Chefermittler Richard McLaren in keinster Weise anzweifle und darüber hinaus die Beweise darin für „hochgradig relevant“ halte. Alexander Legkov und sein Anwalt Christof Wieschemann hatten in den vergangenen Wochen und Monaten angezweifelt, dass aus dem McLaren Report Beweise gegen einzelne Athleten abzuleiten seien. Die Oswald-Komission stellt in ihrem Urteil unter anderem die dem Report angefügte Duchess-Liste (auf der sich laut dem Kronzeugen Grigory Rodchenkov die Namen all jener Sportler finden, die durch einen Austausch von Doping-Proben während den Olympischen Spielen 2014 in Sochi geschützt werden sollten) in den Mittelpunkt ihrer Beweisführung. Fehler in den Reports von McLaren, die von Seiten der Verteidigung angeführt wurden, würden laut Oswald-Komission in ihrer Anzahl und Größe nicht den Gesamtwert und die Glaubwürdigkeit der Informationen beeinträchtigen.
Forensische Untersuchungen und medizinischer Bericht
Forensische Untersuchungen unter Leitung von Professor Christophe Champod, einem Experten für Kriminologie und Spurensuche an der Universität von Lausanne, brachten bis zum Datum der Anhörung von Alexander Legkov (30. Oktober 2017) an 19 von 80 untersuchten Doping-Proben mehrere Spuren von Einwirkung durch spezielles Werkzeug, an elf Proben einzelne Spuren und an 50 Proben keine Spuren zu tage. Allerdings stellte Professor Champod fest, dass mit steigendem Übungsgrad beim unerlaubten Öffnen der Proben weniger Spuren auftraten, was ihn zu dem Schluss brachte, dass man Proben auch ohne das Hinterlassen von Spuren öffnen könne. Dies wurde laut Oswald-Komission dadurch bestärkt, dass man auch in Proben ohne Spuren unnatürlich hohe Salzkonzentrationen im Urin gefunden habe, die ein Beweis dafür seien, dass die Proben ausgetauscht beziehungsweise „behandelt“ wurden. Mit der Untersuchung der Salzkonzentration in den Proben beschäftigte sich Professor Michel Burnier vom Universitätskrankenhaus Lausanne. Im Fall von Sochi wurde in den Proben von 13 Personen (fünf Männer, acht Frauen) eine zu hohe Salzkonzentration (drei Standardabweichungen über dem Durchschnitt von Vancouver 2010) gefunden, was laut Oswald-Komission ein klarer Beweis dafür sei, dass man sich an diesen Proben zu schaffen gemacht habe.
Beweisführung im Detail
In der ausführlichen Urteilsbegründung folgt unter Punkt „G“ dann die generelle Beurteilung. Die Oswald-Komission ist demnach zufriedenstellend davon überzeugt, dass es das System des Probenaustausches gegeben hat. Man könne nur einen Grund erkennen, warum dies geschehen sei: Um einen positiven Doping-Test zu vermeiden. Dies impliziere, dass die ursprüngliche Probe wahrscheinlich eine oder mehrere verbotene Substanzen enthalten habe. Dies wiederum impliziere, dass der Athlet, dessen Proben ausgetauscht wurden, verbotene Substanzen benutzt habe.
Spezifische Erkenntnisse im Fall Legkov
Im speziellen Fall von Alexander Legkov listet die Disziplinarkomission unter anderem folgende Beweise auf: Alexander Legkov steht auf der Duchess-Liste. Zwei Probenfläschchen von Legkov tragen mehrere Spuren von Einwirkung durch spezielles Werkzeug. Grigory Rodchenkov berichtet in einer eidesstattlichen Erklärung, dass er sauberen Urin des Athleten getestet habe. Außerdem verweist er auf eine Unterhaltung, in der es um die positive Reaktion des Athleten auf den Duchess-Cocktail (Mix aus mehreren anabolen Steroiden) ging. Rodchenkov erinnert sich insbesondere an den Austausch der Proben des Athleten in der Nacht nach seinem Triumph im 50 Kilometer Rennen. Die B-Probe dieses Tests ist eine der Proben, die mehrfache Werkzeugspuren trägt.
Vorgebrachte Argumente von Legkov
Die Oswald-Komission antwortet in dem Urteil auch auf einige vorgebrachte Argumente, die laut Alexander Legkov gegen den Verstoß gegen die Anti-Doping-Richtlinien sprechen. Legkov beruft sich demzufolge darauf, dass die ursprüngliche Untersuchung der Proben mit negativem Resultat darauf schließen lassen, dass sie sauber waren. Dies würde laut Komission allerdings nicht die Annahme zulassen, dass Legkov nicht in den Austausch verwickelt war, da das Austauschen ja insbesondere die Vermeidung eines positiven Tests zum Ziel hatte. Zudem habe Legkov argumentiert, dass das IOC und/oder die WADA für die die Aufbewahrung und korrekte Behandlung der Proben verantwortlich sei. Da aber eine Unterbrechung des normalen Anti-Doping-Prozesses durch das „Tampering“ (sich an den Proben zu schaffen machen) stattgefunden habe, seien laut Komission diejenigen verantwortlich, die darin verwickelt waren beziehungsweise davon profitiert haben. Außerdem argumentierte Legkov laut dem Urteil, dass es ihm aufgrund der Testhäufigkeit gar nicht möglich gewesen wäre, den Duchess Cocktail zu benutzen. Laut der Komission habe die Vergangenheit aber gezeigt, dass es sehr wohl möglich ist, trotz häufiger Doping-Tests nicht erwischt zu werden. Zudem gebe es einen Zeitraum, in dem sich der Athlet sicher sein konnte, nicht erwischt zu werden: den Zeitraum der Olympischen Spiele, während dem seine Proben ausgetauscht wurden. Bezüglich eines DNA-Abgleichs der Proben, dessen Fehlen Legkov anmerkte, stellte die Disziplinarkomission fest, dass dessen Fehlen nicht unentbehrlich sei. Außerdem habe man dem Athleten noch vor der Anhörung eine Möglichkeit eingeräumt, eine DNA-Probe abzugeben. Allerdings konnte man sich nicht auf einen Abgabetermin einigen.
Das komplette Urteil lest ihr hier: olympic.org
Den Artikel zur Urteilsverkündung findet ihr hier: Legkov und Belov vom IOC lebenslang von Olympia ausgeschlossen