Nicht nur in Pyeongchang sind die Medaillen an diesem letzten Februar-Wochenende heiß umkämpft. Auch im Schweizerischen Goms im Kanton Wallis wird sich kein Platz geschenkt, als die Wettbewerbe des Internationalen Gommerlaufs über die Bühne gehen. In diesem Jahr wird das 42 Kilometer Skatingrennen als Skimarathon Europameisterschaft ausgetragen, was das Teilnehmerfeld noch ein wenig internationaler werden lässt.
Während am Samstag neben einem Nachwuchs-Biathlonwettbewerb die 21 Kilometer im klassischen sowie im freien Stil ausgetragen werden, finden am Sonntag der besagte Hauptlauf sowie der Mini-Gommerlauf für den Langlauf-Nachwuchs statt. Ich reise zum ersten Mal ins Goms und staune nicht schlecht, welch wunderbares Tal sich vor mir erstreckt, als der Autoverladungszug den langen Furka-Tunnel verlässt. Von der groß angekündigten sibirischen Kälte zeigt sich am Samstag noch nicht die Spur. Mit fast zweistelligen Plusgraden bin ich fast geneigt, die Badesachen auszupacken. Der Gedanke erübrigt sich dann schnell, als ich die hohen Schneeberge rechts und links der Straßen erblicke. Im Goms hatte es die Wochen zuvor jede Menge Neuschnee gegeben, entsprechend top Bedingungen mit herrlich präparierten Loipen erwarten die insgesamt rund 1.900 Teilnehmer. Da ich erst am Sonntag starte, bin ich am Samstag noch tiefenentspannt und genieße die Wettkampfatmosphäre in vollen Zügen.
Gerade bestaune ich die gigantische Kulisse von mächtigen Dreitausendern, welche das Gomstal rundum umgibt, als mir bewusst wird, dass ich die Ski noch präparieren muss! Der rasche Sprung zum TOKO-Wachsstand stellt sich als vergebens heraus, die Jungs wachsen erst am nächsten Morgen wieder. Da könnte ich dann doch nicht ruhig schlafen. Also was tun? Nach meinem schlechten Tag, kombiniert mit eigenmächtig verwachsten Skiern beim Einsiedler Skimarathon, will ich es nun eigentlich besser machen. Eine dringliche innere Stimme rät mir, ich solle sie dieses Mal lieber nicht selber präparieren. Da klettert die Lösung in Form von Remo Fischer gerade vom Siegerpodest des 21 Kilometer Skating-Rennens herab. Von seinem furiosen zweiten Platz hinter Curdin Perl ist er vermutlich so voller Endorphine, dass er sich freiwillig bereit erklärt, mir meine Skier zu richten. Welche Freude! Und welch bombastischen Ski finde ich da unter meinen Füssen wieder, als ich mich am nächsten Morgen zum Warmlaufen auf die Strecke begebe. Vielen Dank Remo! Dafür dass es trotzdem ein verflixt harter Lauf wurde, kannst du nun wirklich nichts – die Skier liefen top!
Los geht es ein paar Reihen hinter Remo um halb zehn, als der Startschuss für das Elitefeld des Internationalen Gommerlaufs fällt. Stockbruch, Stürze, das übliche Spiel auf dem ersten Kilometer, ich selbst bleibe zum Glück verschont. Zunächst verläuft die Strecke in Richtung Oberalp auf leicht ansteigendem Gelände. Das Tempo ist hoch, die Konkurrenz gefährlich gut in Form. Ich mache es, wie auch in den Rennen zuvor: So lange so schnell laufen wie es irgendwie geht und wenn ich dann abreißen lassen muss, die sauren Beine irgendwie wieder in den Griff bekommen und den eigenen Rhythmus aufnehmen. Vielleicht, ich frage es mich immer wieder, wäre die Taktik besser, es einmal ruhiger anzugehen? Doch dann wären sie sofort über alle Berge – die Spitzenläuferinnen – und uneinholbar. Das sind sie so auch – jedenfalls die ersten drei und vor allem die souverän führende Rahel Imoberdorf aus Münster, die locker flockig bei den Männern sehr weit vorne mitläuft. Dank hohem Anfangstempo gelingt es mir zumindest noch ein wenig länger an den Schweizerinnen Nicole Donzallaz und Claudia Schmid dranzubleiben.
Richtig kurzweilig geht es dahin, talabwärts in Richtung Niederwald. Wobei das „abwärts“ nicht wirklich als Solches zu verstehen ist. Immer wieder gilt es kurze Anstiege zu meistern, in denen es besonders viele Körner kostet, um in der Gruppe mitzuhalten. Inzwischen verdichtet sich der Nebel und auf Höhe Münster beginnt es leicht zu schneien. Prompt wird der Schnee sehr stumpf, so dass die nächsten Kilometer eine echte Kraftprobe werden. Mehr kann ich die Zähne nicht zusammenbeißen und mehr Gel verträgt der Magen nicht mehr- ich muss die Gruppe ziehen lassen. Meter um Meter gleiten sie davon, was bleibt – wer kennt es nicht? – ist der harte Kampf gegen sich selbst. Ich versuche trotz nachlassender Kraft das Tempo einigermaßen hoch zu halten, so dass ich den sechsten Platz hinter den beiden Schweizerinnen halten kann. Wie gingen sie nochmal die Sprüche vom Schmerz, der verfliegt und Ruhm der bleibt und so weiter? Dank der unglaublich aufputschenden Zuschauer (die Oberwalliser verstehen es wirklich toll anzufeuern!) und auch dank der grandiosen Bergkulisse die sich immer mehr im Sonnenlicht zeigt, schöpfte ich Energie für die nächsten Kilometer.
Nun noch der Anstieg bei Münster. Im Augenwinkel erspähe ich unsere Unterkunft im schmucken Holzhäuschen im typischen Stil für das Obergoms. Oben angekommen stehen die Zuschauer und helfen mir erneut mit ihren Zurufen. Doch nun scheint wirklich der Ofen aus zu sein. Ob ich ohne die Bouillon und den Iso-Tee von den freundlichen Verpflegungshelfern noch ins Ziel gekommen wäre? Vielleicht – aber so geht es jedenfalls deutlich besser. Und schneller! Ein großes Dankeschön an die Helfer, die für einen absolut reibungslosen Ablauf des Rennens sorgen. Jetzt da ich diese Zeilen schreibe, überwiegen längst schon wieder die Erinnerungen an all diese kleinen schönen Begebenheiten am Rande der Strecke. Die Sonnenstrahlen, die sich durch den dichten Nebel kämpfen, die Berggipfel die plötzlich aus dem Grau erstrahlen. Die Erleichterung darüber, dass der Schnee in Richtung Ziel wieder etwas schneller wird und dass auf den letzten Kilometern gar kein befürchteter Anstieg mehr kommt. Und so fliegen auch die letzten Kilometer bis Ulrichen vorbei. Es gelingt mir, den sechsten Platz zu halten und die Uhr bleibt bei 1:59 Stunden stehen. Hut ab vor der Leistung aller Läuferinnen und Läufer. Insbesondere gebührt der aus Münster stammenden Lokalmatadorin Rahel Imoberdorf aller Respekt. Sie läuft auf die Zweit- und Drittplatzierten Heidi Widmer und Natalia Zernova einen Vorsprung von sieben Minuten heraus. Und dies nach ihrem Sieg vom Vortag im klassischen Stil. Bei den Herren gewinnt der Franzose Thomas Chambellant vor Curdin Perl und Nicolas Berthet.
Ziemlich erschöpft und doch sehr zufrieden finde ich mich im Zielgelände im inzwischen strahlenden Sonnenschein wieder. Es war eine wilde und kräfteraubende Jagd durchs Gomstal. Doch nicht einen Kilometer dieses tollen Laufs möchte ich missen und freue mich schon heute auf die Austragung des 47. Gommerlaufs zu Füssen der imposanten Walliser Gipfel.