Von Christoph Friedl
Nachdem ich viermal den Vasalauf über 90 km und einmal den Nordenskioldsloppet am Polarkreis über 200km hinter mich gebracht habe, stellte ich mir die Aufgabe das „long distanz skiing“ im Bayerischen Wald auf eine Art persönliche „Mutprobe zu stellen“. Irgendwo war ich im Herzen das dem Bayerwald schuldig. Ob man es schafft die sogenannte Bayerwaldloipe, ein Fernskiwanderweg vom Lkr. Cham/Oberpfalz, zwischen Osser und Arber, bis nach Jandelsbrunn, unterhalb dem Dreisessel am Dreiländereck GER-CZE-AUT, in einem Stück durchzulaufen. Von meinem Wohnzimmerfenster aus sehe ich immer die gewaltige Bergkette vom gr. und kl. Rachel über Plattenhausenriegel zum Lusen und dann weiter über die Skipiste in Mitterfirmansreuth – vorbei am Haidel bis zum Dreisessel. Eine unfassbar weite Strecke, knapp 150km/2500 Hm.
Im Sommer war ich oft an den Wochenenden an die 100km am Stück auf den Skirollern unterwegs und auch der bisher schneereiche Winter bescherte mir immer wieder Trainingstage von 3-6 h am Stück. Vor allem im einheimischen Loipengebiet, in der Sonnenwaldgemeinde Schöfweg, an den Hängen des Brotjacklriegel.
Aufgrund der Tatsache, dass auch immer wieder Skimarathonrennen der Coronasituation wegen ausfallen, entschied ich mich mit ausgiebiger Vorplanung das Erlebnis Bayerwaldloipe anzugreifen. Zusammen mit meiner Freundin Lena und Kumpel Lorenz, ebenfalls begeisterter Skilangläufer und Betreuer im heimischen Fußballverein (SV Schöfweg/Bezirksliga-Ost), die Planungen in die Realität umzusetzen. Das Wetter sollte es an dem Samstag (05.02.2022) laut Vorhersage nochmals „Gut“ meinen und die Schneelage war ebenfalls mehr als noch günstig.
Das Auto vollgepackt am Vortag mit 6 Paar Ski für eisige, nasse und umgewandelte Verhältnisse, Ersatzstöcke, Wechselkleidung, Nudelsalat, Bananen, Riegel, Gels, Ananasstücke, Wasser, Cola, Pancakes, ging es am Samstag sehr früh los. Den Wecker stellte ich auf 3:20 Uhr, allerdings war ich schon um 3:00 Uhr wach und spürte den inneren Trieb das Ding heute zu rocken und durchdrücken zu wollen. Nach einem ausgiebigen Frühstück ging es los in Richtung Langlaufzentrum Scheibe, oberhalb von Lohberg, wo der Startpunkt war.
Dort angekommen, begrüßte uns ein eisig – rauer Wind, fast schon orkanböig. Die anfängliche Euphorie wurde schnell wieder gebremst. Aber um 05:15 Uhr machte ich mich in Richtung Brennes auf die lange Reise. Der über Nacht gefallene Schnee und der Wind machten es langsam und widrig, ich versuchte irgendwie, in dieser frühen Tageszeit, einen angenehmen Rhythmus zu finden. Ab dem Brennes in Richtung Bayerisch Eisenstein runter wurde der Wind immer ruhiger und auch der Neuschnee wurde immer weniger. Richtung Arberhütte, in der Senke unterhalb dem großen Arber, war es dann richtig angenehm. Über mir waren die Pistenraupen, wie eine Armee auf den Hängen der Skipisten, um diese Zeit schon unterwegs. Die Spur wurde jetzt teilweise eisig vom Regen tags zuvor und dem Frost über Nacht und daher flog ich dem nächsten Treff mit meinem Betreuerduo in Regenhütte entgegen. Über die Kaisersteigloipe ging es dann über Rabenstein hinunter und nach knapp 1:43 h ins Skistadion nach Zwiesel hinein. Dort wechselte ich auf die Laufschuhe, um durch die Stadt hinüber nach Bärnzell zu gelangen. Der Schritt fühlte sich auch laufend richtig gut und schnell an. Ich war gefühlt wirklich sehr flott unterwegs, hoffentlich nicht zu schnell, nicht dass sich das am Ende vllt noch rächt. Der Tag ist noch lange, aber ich war so fokussiert in diesen Moment. Nach 2:03 h ging es wieder auf den Skiern weiter. Leider war die Präparation der Loipe von Bärnzell nach Klingenbrunn schon ein paar Tage alt und der Regen der vergangenen Tage ließen den bisherigen Speed deutlich verlangsamen – es war ein „Kampf“ zwischen müßigen Doppelstockschieben und Skaten, aber irgendwie schaffte ich es dann doch halbwegs nach Klingenbrunn. Dort war eine Banane erst mal sehr wichtig um die Speicher immer gefüllt zu halten. Auch ein Skiwechsel war jetzt angebracht, weil die Spur deutlich feuchter wurde.
Von Klingenbrunn ging es über Klingenbrunn-Bahnhof-Spiegelau nach Riedlhütte, vorbei Unterhalb dem Skilift von Reichenberg, wo ich als Kind schon Skirennen fuhr. Weiter über Höhenbrunn – St.Oswald und dann runter zum Langlaufzentrum in Rosenau bei Grafenau. Ich hatte gerade einen richtigen „Flow“ und meine Betreuer kamen parallel zu den vereinbarten Punkten gar nicht so schnell hinterher. Nach einem Schluck Cola und einer Breze wollte ich auf dieser Welle gleich weitersurfen und machte mich auf den Weg nach Neuschönau auf. Dort angekommen ist das Loipenstück nach Sägmühle leider unterbrochen, was auch im Loipenplan so vermerkt ist. Ich hatte ein altes Paar Ski dabei, um über geräumte und festgefahrene Winterwanderwege über das Blumenthal nach Sägmühle zu gelangen, wie es im Loipenplan gestrichelt eingezeichnet wäre. Leider waren diese vom kniehohen Schnee, der Anfang der Woche so massiv gefallen ist und dem Regen der letzten Tage, unpassierbar. Um keine Zeit zu verlieren, entschlossen wir uns nach Sägmühle mit dem Auto runterzufahren und dort den Weg fortzusetzten.
Ab Sägmühle versuchte ich den guten Rhythmus wieder fortzuführen, was aufgrund der perfekten Bedingungen auch super funktionierte. Der Loipenfahrer musste nach dem Regen tags zuvor über Nacht gefahren sein, weil es bis Mauth ein wahrer Eiskanal war und die Geschwindigkeiten ständig an die 30 km/h kratzten. In Mauth angekommen hatte ich jetzt über die Hälfte der Strecke hinter mir.
Ein Gel plus eine Banane und ein Schluck Cola sollten mich wieder frisch machen. Mit einem neu gefüllten Trinkgurt und einem für nasse Verhältnisse geschliffenen Ski ging es über die bekannte Dreikönigsloipe am Reschbach entlang und dann hoch Richtung Finsterau. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es auf einmal sehr zäh voran ging. Ich versuchte kürzer und frequenter zu schieben, überlegte ob der Ski die falsche Wahl war gerade…
Es lief überhaupt nicht, ich kämpfte mich irgendwie vor. Ich freute mich im Kopf auf Finsterau, den höchsten Punkt der Route, und dass ich dort die 100 km erreichen werde. Ich motivierte mich, weil ich beim 200km-Rennen damals am Polarkreis auch nach 140 km das Tief überwunden hatte und mit diesem Gedanken und schmerzenden Oberarmen am Trizeps kam ich vorm Anstieg nochmals an einen nächsten Treffpunkt. Dort bekam ich von Lorenz und Lena die Colaflasche gereicht und dieser kurze Moment des Innehaltens, löste wahre Wunder aus. Auf einmal konnte ich irgendwie den Schubrhythmus wieder finden und das Gefühl wurde immer besser, je länger ich im Anstieg nach Finsterau unterwegs war. Dort wehte aber ein rauer und eisiger Wind, der den Schnee kräftig aufwirbeln lies.
Die nassen Ski waren in diesem Moment nicht passend, aber vorbei an meinem Betreuerteam stürzte ich mich ohne Zwischenstopp über Finsterau, hinter Mauth vorbei, entlang der Grenze zu CZE hinunter nach Hinterfirmiansreut. Auf diesem Stück am Teufelsbach entlang liefen die Ski wie auf Schienen, die harten Momente auf der Dreikönigsloipe waren längst vergessen. Nach kurzer Absprache mit Lorenz und Lena war der nächste Stopp dann im Ortskern von Philippsreut. Ich führte meine Reise fort mit dem guten Gefühl das es jetzt doch so schnell ging und das Ziel immer greifbarer war!
Leider wurde der Schnee immer trockener, je weiter man in Richtung Skihänge Mitterdorf lief. Zudem kam ein immer stärker werdender Wind dazu. Ich kämpfte mich mit meinem nassen Ski, der zu dem Zeitpunkt total unpassend war, mühevoll in einem Wechsel zwischen Skating und Doppelstockschieben vor bis ich auf der Abfahrt nach Philippsreut unterwegs war. Gott sei Dank war das vorbei dachte ich mir und je tiefer ich fuhr, umso schneller wurden die Ski wieder.
In Philippsreut machte ich nochmals einen kurzen Stopp. Ich wechselte den Trinkgurt erneut, nahm eine Banane zu mir, ließ mir die Pancakes von Lena schmecken, tauschte die Handschuhe gegen neue warme aus und dann wollte ich es irgendwie jetzt hinter mich bringen. Es ging jetzt auf teils sehr eisiger Spur flott voran. Über Langenreut bis nach Haidmühle wo der nächste Treff vereinbart war. Dazwischen waren zahlreiche Straßenquerungen, die immer das An-/Abschnallen der Ski mit sich brachten, aber das Gefühl in diesem Moment zu gut als das mich das nervte. In Haidmühle verpassten wir uns allerdings wo die Loipe den Ortskern querte. Ich hoffte dann mein Betreuerteam später an einem anderen Punkt zu treffen. Nach Haidmühle waren zahlreiche Schlittenhundegespanne neben der Loipentrasse unterwegs, was für diese Gegend auch bekannt ist, weil hier regelmäßig solche Wettkämpfe ausgetragen werden.
Die Loipe führte jetzt auf dem „Adalbert-Stifter-Radweg“ entlang. Was früher eine Eisenbahntrasse war und jetzt im Sommer als Radweg und im Winter als Teil der Bayerwaldloipe genutzt wird. Die Spur war schnell und teils eisig aber leider war der Doppelstockeinsatz beschwerlich, weil ich trotz großer Teller immer wieder mit den Stöcken wenig Halt hatte. Trotz der aktuellen Schwierigkeit ging es leicht abschüssig vorbei am Skatingpark Altreichenau und weiter nach Neureichenau. Dort querte ich ein letztes mal die Straße für die letzten gut 5 km zum Finish in Jandelsbrunn. Obwohl ich die Crew erneut verpasste, reichte mir die Energie noch völlig aus und ich genoss den Anblick als die Sonne langsam unterging. Ich kam um 16:45 Uhr überglücklich in Jandelsbrunn an – was für ein Gewaltakt!
Durch einen perfekt abgestimmten Strecken-/Verpflegungsplan und einer immer funktionierender Raum-/Zeitberechnung, bis auf das letzte Stück ab Haidmühle, war es für uns drei ein ereignisreicher Tag. Ich verpasste keine Abzweigung und war bis auf den kurzen Hänger auf der Dreikönigsloipe mit vollem Genuss unterwegs. Es ist wahrlich interessant wie man problemlos einfach den Bayerwald auf Skiern durchlaufen kann. Vorbei an Loipen wo ich schon an Wettkämpfen teilgenommen habe. Dies weckte während der Tour zahlreiche Erinnerungen: Bayerisch Eisenstein, Rabenstein, Zwiesel, Klingenbrunn, Finsterau, Skatingpark Altreichenau. Das Wetter war von der Vorhersage nicht ganz klar. Bis auf die windigen Phasen zum Start, über Finsterau drüber und in Mitterdorf verirrte sich zwischendurch nur kurz mal eine Schneeflocke. Ansonsten blieb es trocken, jedoch mit wenig bis gar keiner Sonne. Was ein ständiges hin-und her mit dem Wechsel der Überhose auf sich hatte. Da die Bayerwaldloipe überwiegend klassisch gespurt ist war ich überwiegend in der Doppelstocktechnik unterwegs. Die Teilabschnitte Bärnzell-Klingenbrunn und über Mitterdorf drüber musste ich mich im Skating durchkämpfen, um vorwärtszukommen. Die Banane war mein bekömmlichster Energielieferant für zwischendurch, was ich damals beim Nordenskioldsloppet schon für mich feststellen durfte.
Vielen Dank an Lena & Lorenz für die perfekte Rundumbetreuung.